von Klaus Schedler
Als Schulkind liebte ich die Religionsstunden, wenn uns die Lehrerin biblische Geschichten erzählte. Eben hatte Gott Abraham aufgefordert, mitsamt seiner Verwandtschaft die Heimat zu verlassen und in ein Land zu ziehen, das ihm Gott zeigen werde. Wenn er das täte, würde er der Stammvater eines großen Volkes werden, das dann als „Volk Gottes“ zu Ruhm und Ansehen kommen werde. Und das alles werde im „gelobten Land“ Wirklichkeit werden.
Tatsächlich führte sie Gott in dieses Land, doch fragte ich mich als Kind, was daran so Besonderes sein sollte, dass es gelobt wurde. Ich kannte das Wort „geloben“ für „versprechen“ nämlich noch nicht und daher verstand ich erst später, dass es sich dabei um ein besonderes Land handelt, weil es Gott für sein Volk bestimmt hat.
In weiterer Folge tauchten Probleme auf, weil Abraham mit Sara keine Kinder bekam. Wie aber sollte er so Stammvater eines Volkes werden? Das Paar beriet sich und man kam zu dem Ergebnis, dass Abraham eine Dienerin namens Hagar als Nebenfrau nehmen sollte. Alsbald schenkte Hagar einem Sohn das Leben und nannte ihn Ismael. Und bald darauf bekam auch Sara ebenfalls einen Sohn, den sie Isaak nannte.
Wer von diesen beiden Kindern sollte nun aber das Erbe antreten und für alle Kinder und Kindeskinder in Anspruch nehmen können, sich Volk Gottes nennen zu dürfen? Eigentlich beide, doch darüber zerstritt man sich und es kam zu Trennung der Familie. Die biblische Überlieferung konzentriert sich von da an auf die Nachkommen Isaaks und somit auf das Judentum aus dem dann nach dem Neuen Testament das Christentum hervorgegangen ist. Die Nachkommen Ismaels sind aber nicht untergegangen, sondern aus ihnen ist die arabische Welt hervorgegangen, innerhalb derer der Glaube an den einen Gott durch den Koran und den Propheten Mohammed in anderer Weise geprägt ist.
Wo genau aber befindet sich das „gelobte Land“? Nun, unsere biblische Überlieferung ist da nicht besonders konkret. Wahrscheinlich ist es ein Raum westlich vom Jordan bis zum Mittelmeer. Im Sinne der religiösen Traditionen geht für Juden, Christen und Muslime kein Weg am Tempelberg in Jerusalem vorbei. Doch bei der politischen Beurteilung der mit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 laufenden Konflikte und seinen Nachbarstaaten geht es um weitaus mehr, als um territoriale Ansprüche. Vielmehr sind es vor allem auch die Unterschiede in der jeweiligen spirituellen und kulturellen Gemeinschaft, der man sich verbunden fühlt. Sowohl auf israelischer als auch palästinensischer Seiten gibt es grundsätzlich ein breites politisches Spektrum von religiösem Fanatismus bis hin zu einem aufgeklärten Säkularismus, wie er bei uns gebräuchlicher ist. Wechselseitig gelingt es mit diversen Diskriminierungen und bisweilen sogar mit Terror immer wieder, den religiösen Fanatikern Auftrieb zu verleihen. Tragisch: Die Brüder Isaak und Ismael scheinen einander nicht mehr zu kennen.
© Klaus Schedler 2023-10-19