Gelungene Täuschung – Für Irene

Jamal Tuschick

von Jamal Tuschick

Story
Die Philologin Persephone besteht in einer norddeutschen Kleinstadt mit großer Hanse-Vergangenheit erotische Abenteuer. Mit identifikatorischem Interesse analysiert sie Leben und Werk der Schriftstellerin Wanda von Sacher-Masoch.

Manchmal cruisen sie gemeinsam in Neds restauriertem 68er-Mustang GT Fastback, Montana-grün … und Ned sieht auch aus wie Steve McQueen als Lieutenant Frank Bullitt in der legendären Verfolgungsjagd auf den Straßen von San Francisco … durch die nordostdeutsche Weitläufigkeit, die Persephone als Uwe Johnsons Seelenlandschaft erlebt. Sie sieht mit Johnsons Diasporablick durch die Windschutzscheibe fern. Der Mecklenburger Johnson im New Yorker Exil, der Texaner Ned auf der Mecklenburger Seenplatte … einmal landet das Paar in einer Aue des Panketals. Persephone glaubt zu träumen, so blau liegt der Liepnitzsee in der Brandenburger Grundmoränenlandschaft. Der See füllt eine través de glaciares, eine niedliche glaziale Rinne. Buben singen böse Lieder an seinem, von urweltlichem Wurzelwerk geäderten Ufer. Ihre Bestien liebäugeln mit Fahrradfahrerwaden.

Eine Beobachtung, wie mit einem Skalpell aus dem Leben geschnitten – eine göttliche Offenbarung riss Persephones Freundin Lale einst aus dem Rinnstein und expedierte sie in die Küche des sagenhaften Vincent. Der Dinosaurier seines Fachs gehört einer Kohorte von Küchenrevolutionären an, die der molekularen Labor-Gastronomie den Weg wiesen. In der Handlungsgegenwart lässt sich der Veteran sogar in G. nur noch historisch erklären. Vincent profitiert von dem Wunsch seiner Gäste, einen Helden am Herd zu verehren. Ihr kulinarisches Halbwissen interpretiert die Restaurantküche als Raubtierkäfig mit Greifern aller Größe. Vincent spielt in diesem Szenario den König der Tiere. In Wahrheit schmeißt Lale den Laden.

So was sieht man nicht von außen. Das wäre geschäftsschädigend. Niemand fände es plausibel für die Tellerfertigkeit einer Drogenkranken, die sich täglich neu mit Rigorosität und Religion kuriert, seinen Namen auf Wartelisten setzen zu lassen und Vincents Preise akzeptabel zu finden. Der Gast zahlt für eine gelungene Täuschung. Vincent, längst vollkommen verschlissen, raucht über seinem Creuset-Equipment, der Schweiß überrennt das Donnerhaupt wie Schmelzwasser einen Stein. Asche und Schweiß fusionieren mit den Dingen in den Töpfen.

Es ist eine Schweinerei, die in einem Wunder der Suggestion zum magischen Vorgang transformiert. Nie sah ein Gast die Küche und den uniformierten Fleiß, die eiserne Routine der Mannschaft, die von Vincent manchmal wie Sklaven und manchmal wie Mitgötter behandelt werden. 

„Lass‘ uns heute Abend noch etwas machen“, bittet Persephone Ned via WhatsApp, während sie die Lebensgefährtin eines anderen Liebhabers breit anlächelt. Die Frauen sitzen an verschiedenen Tischen und doch nah genug, um ihre Parfüms riechen zu können, im legendären ‚Da Vincent‘. Eine mörderische Spannung liegt in der Luft. Persephone kommt mit ihren Formulierungen Neds Wunsch entgegen, ihren Scharaden ein handfest-greifbares Ende zu bereiten. Persephone rührt Neds Verzweiflung, die sie heraufbeschworen hat. Er kann sich nicht sicher fühlen. Er darf sich nicht sicher fühlen. Sonst könnte er nachlassen. Er könnte seine Anstrengungen verringern; anstatt sie zu verdoppeln.

© Jamal Tuschick 2024-07-12

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
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