Der Aufstand des Gewissens

Hannes Steiner

von Hannes Steiner

Story
2011

„Genosse Steiner, was meinen Sie, soll ich heuer die Festspielrede halten?“, fragte mich Jean Ziegler, von Beruf Globalisierungskritiker, Weltrevolutionär, ehemaliger Chauffeur von Che Guevara und enger Freund von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

„Klar halten Sie die Rede!“, meinte ich flapsig, „dann haben Sie mal alle ‚Geldsäcke‘ in einem Raum, wie Sie sie so schön nennen, denen Sie schon immer die Meinung sagen wollten. Und das wirklich Gute dabei ist, die müssen es sich anhören und können nicht mal den Raum verlassen! Ich würde Ihnen allerdings raten, auszuverhandeln, dass Sie entgegen der langjährigen Gepflogenheit den Text der Rede vorab nicht bekannt geben müssen.“

Ich hatte diese Begebenheit ja schon fast wieder vergessen, als mich Monate später ein aufgebrachter Jean Ziegler anrief und mir sagte, dass er als Redner wieder ausgeladen wurde. Er. Einfach so. Ohne Angabe von Gründen. Man sagte ihm sogar, es wäre noch gar nicht so verbindlich gewesen. „Glatte Lüge“, und nur wenig später mailte er mir das Beweisstück. „Das ist doch eine Unverschämtheit!“, polterte er.

„Dann drucken wir eben ihre nicht gehaltene Festspielrede“, gab ich ihm nochmals flapsig mit auf den Weg und hörte wieder nichts für einige Wochen. Um genau zu sein, bis sieben Tage vor der feierlichen Eröffnung der Salzburger Festspiele. Da fand ich um 22:10 Uhr folgende Mail im Posteingang: „Lieber Herr Steiner, hier meine Rede, sie steht Ihnen als Verleger zur freien Verfügung. Herzliche Grüße, Jean Ziegler“. Verdammt, zu spät, das geht sich nicht aus mit dem Buch zum Festspielauftakt. Schwer enttäuscht ging ich zu Bett … Wir hatten eine große Chance vergeben.

Aber es ließ mir keine Ruhe. Gleich am nächsten Morgen rief ich in der Druckerei an. „Ja, doch, da lässt sich schon was machen, in einer kleinen Auflage.“ Nun witterte ich unsere Chance. Ich trommelte schnell mein gesamtes Team zusammen, und noch am selben Tag gestalteten wir ein kleines Büchlein mit dem Titel „Der Aufstand des Gewissens – die nicht-gehaltene Festspielrede 2011″. Selbstverständlich mit einem revolutionsroten Cover, der Preis eine symbolische Schutzgebühr von Euro 2,50.

Der Tag der Festspieleröffnung kam näher und näher, aber die Bücher waren noch immer nicht fertig. Es gab wohl einen technischen Defekt in der Druckerei, und ich hatte nur eine Chance: mich frühmorgens vor der Festspieleröffnung schnell ins Auto setzen und ab Richtung Kärnten. Auf halber Strecke übernahm ich wie in einem schlechten Film auf der Autobahnraststätte Eisentratten die Bücher, und sofort ging’s zurück nach Salzburg.

Und um 10:30 Uhr stürmte ich, unterstützt von Cyriak Schwaighofer, auf den Vorplatz des Festspielhauses und verteilte die druckfrischen Büchlein wie ein Zeitungsverkäufer an die wartende Prominenz: die rechtmäßige Festspielrede.

Es wurde die wohl bekannteste Rede aller Zeiten. Sämtliche deutschsprachige Medien druckten sie ab.

Viva la revolución!

© Hannes Steiner 2020-08-24

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