von Luna Winkler
Ich dachte immer, sie seien ausgestorben.
Dass sie auf der Liste der längst vergessenen, weil selten gewordenen, Typen an Typen stehen, wusste ich. So gut, dass ich von vornherein keinerlei Hoffnung hegte, einem dieser raren Exemplare zu begegnen, weil einfach zu schön, um wahr und da zu sein, ich einfach zu einsam in einer homogenen Masse, die alle denselben Typus an Mann bevorzugen. Stark in jeglicher Hinsicht, Soldaten gleich, ohne eine Miene zu verziehen, beschützerisch, aufopferungsvoll, ein typischer Mann eben.
Ein typischer Mann eben. Es ekelt mich vor diesem typisch, denn Gott bewahre, als ob ich typisch weiblich wäre. Und als ob es dieses typisch überhaupt gäbe, dass sich da so dreist seit wie vielen von Jahrzehnten, Jahrhunderten zu diesem geschlechterbeschreibenden Nomen gruppiert, schamlos, wie als wäre es ein Artikel, der von grundauf und der Selbstverständlichkeit halber immer vor diesem auftaucht. Wie als wäre dieser Platz davor nur für etwas so Langweiliges wie ein „typisch“ bestimmt. Uhh-äh. Würgereiz.
Nichtsdestotrotz habe ich immer geglaubt, so jemand wie du dürfte gar nicht existieren. Ich könnte jetzt anfangen zu beschreiben, wie es war, als ich dich das erste Mal sah, dass mir damals halb die Kinnlade ‘runtergeklappt ist und kein vernünftiges Wort seinen Weg ’raus aus meinem Mund gefunden hat, so überrumpelt war ich von der Schönheit deiner reinen Seele, aber nun gut. Bleiben wir bei den rationalen Fakten.
Dich darf es so eigentlich gar nicht geben. Das weiß ich, das weißt du und wenn nicht, dann eben jetzt. Du bist…zu viel für mich, für diese Welt, für deren Anschauungen und nicht zuletzt stellst du alle vorangegangenen Konzepte auf den Kopf.
Du. Bist. Ein. Gentleman.
Zumindest kommt dein Verhalten meiner Vorstellung eines solchen ziemlich nah und da ich kein anderes Wort in meiner knarzenden Schatzkiste für so eine Benehmensweise habe, muss das des Gentlemans eben herhalten. Ich weiß, dass es wahrscheinlich tausend und eins Definitionen für diese Gattung gibt und wahrscheinlich ist die Hälfte davon tatsächlich längst ausgestorben. Aber in meiner kleinen Welt, meinem Hirn, das zwischen zwei Buchdeckeln feststeckt, bist du eben ein Gentleman.
Kein typischer, denn mir ist diese neunteilige Buchstabenkonstellation verhasst, wie man vielleicht merkt, aber dafür wahnsinnig anders. Zudem noch charmant und so skurril komisch, dass mein Hirn zwischen den Buchdeckeln ein Synapsenfeuerwerk zündet und alle Seiten in Brand steckt, wenn mich eins deiner breiten Lächeln trifft.
Du bist die Erfüllung meiner nach Verständnis dürstenden Seele. Du trägst so viel in dir – in deiner Brust schlägt ein Herz, doppelt so groß wie üblich, enthält Emotionen, die sonst nur als „weicher Kern“ spöttisch vertan werden, eine permeable Schale, auf die es ein Patent geben sollte, so durchdacht und perfekt mutet sie an.
Wenn du mich fragst, bist du ein Gentleman. Ein Gefühls-Gentleman. Denn nur darauf kommt es an.
© Luna Winkler 2022-12-19