George Berkeley (1685)

Jakob Rinke

von Jakob Rinke

Story

Leben wir in einer Simulation? Gibt es einen Beweis für unsere Existenz? René Descartes meinte: Ich denke, also bin ich. Doch was ist mit unserem Körper? Existiert er unabhängig von unserer Wahrnehmung? George Berkeley verneinte dies: Nur wahrgenommenes existiert – Materie ohne Beobachtung sei eine Illusion.
Das klingt zunächst absurd. Jeder, der eine heiße Herdplatte berührt, weiß: Sie existiert – und sie tut weh. Doch Berkeley würde widersprechen: Die Schmerzen sind real, keine Frage. Sie sind eine Sinneserfahrung in deinem Kopf. Aber nur weil du sie fühlst, heißt das noch lange nicht, dass die Herdplatte als eigenständige Materie existiert – du könntest das alles genauso gut träumen. Für Berkeley war die Vorstellung einer von der Wahrnehmung unabhängigen Materie ein unbegründetes Konstrukt. Esse est percipi – „Sein ist wahrgenommen werden“ – lautete sein Leitsatz. Dinge existieren nicht an sich, sondern nur, solange sie wahrgenommen werden. Dass die Welt dennoch geordnet und stabil erscheint, erklärt Berkeley durch eine allumfassende Wahrnehmung: Gott ist es, der alles sieht und damit die Existenz aller Dinge sichert. Diese Idee war für Berkeley keine bloße Spekulation, sondern eine konsequente Schlussfolgerung aus seiner Philosophie. Wenn Materie nur als Wahrnehmung existiert, dann muss es eine Instanz geben, die diese Wahrnehmung aufrechterhält. Gott ist für ihn nicht nur der Schöpfer der Welt, sondern auch ihr beständiger Wahrnehmer – ohne ihn würde alles im Nichts verschwinden.
Diese Vorstellung war für Berkeley naheliegend, denn er war nicht nur Philosoph, sondern auch Priester. In Irland war die Priesterweihe damals Voraussetzung, um am Trinity College in Dublin eine akademische Laufbahn einzuschlagen – und genau dort hatte Berkeley studiert und gelehrt. Seine Theologie und seine Philosophie gingen also Hand in Hand. Doch Berkeley war nicht nur ein Theoretiker. Er war auch ein Mann mit großen Visionen. So wollte er eine Kolonie in Amerika gründen, um dort eine neue Gesellschaft auf Basis seiner Ideen zu errichten. Er sammelte Geld für das Projekt, doch als die finanzielle Unterstützung ausblieb, musste er seinen Traum aufgeben und nach Europa zurückkehren. Seine tiefgründige Beschäftigung mit Wahrnehmung und Realität spiegelt sich auch in einer Anekdote wider, die während seiner Zeit am Trinity College erzählt wird. Angeblich wurde Berkeley während einer Vorlesung von einer Tarantel überrascht, die über seinen Schreibtisch kroch. Seine Studenten hielten den Atem an, doch Berkeley blieb vollkommen ruhig und gelassen. Anstatt die Spinne zu verscheuchen, beobachtete er sie und fragte schließlich seine Zuhörer: „Wenn niemand hier im Raum die Spinne wahrnehmen würde – würde sie dann überhaupt existieren?“ Doch als sie ihm auf die Hand gesetzt wurde, verlor er kurz seine Gelassenheit.
Berkeleys Philosophie mag für viele seiner Zeitgenossen radikal gewesen sein, doch seine Ideen haben die westliche Philosophie geprägt. Heute finden sich Parallelen zu seinen Gedanken in Diskussionen über virtuelle Realitäten und das Bewusstsein. Er lehrte uns: Realität ist Wahrnehmung. Und bis heute bleibt die Frage – existiert die Welt ohne uns?

© Jakob Rinke 2025-06-01

Genres
Romane & Erzählungen