Georgisch tafeln

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Mein Trolley ist randvoll mit Packerln, Wein und Bäckerei. Es ist der 24. Dezember 2018. „Es wird schon glei dumpa“. Ich bin auf dem Weg ins Studentenheim und steuere auf die Forsthausgasse zu. Die letzten Jahre hab’ ich den Heiligen Abend immer nur mit meinem Sohn verbracht, doch heuer soll’s eine große, bunt zusammengewürfelte Runde sein. Lauter georgische Studentinnen, Freundinnen von Nina. Sogar Nunu, ihre Mutter, ist von Tiflis zum Dreißiger ihrer Tochter, der knapp vor Weihnachten ist, nach Wien geflogen.

Mein Sohn hat sich in eine Georgierin verliebt. Mittlerweile sind die beiden verheiratet, und ich hab’ die liebste Schwiegertochter, die man sich nur wünschen kann. Nina hat das Herz auf dem rechten Fleck. In ihren Augen wohnt Wärme.

Mein Sohn erwartet mich am Eingang des Studentenheimes und führt mich in einen riesigen Aufenthaltsraum mit Tischen und Sitzbänken und einer langen, gut ausgestatteten Küchenzeile, wo sie wie aufgefädelt stehen, Nunu und Ninas Freundinnen, alle mit bemehlten Händen, teigigen Fingern. Die kulinarischen Vorbereitungen sind längst im Gange. Nunu hat Zutaten aus Georgien mitgebracht, spezielle Gewürze und weichen Hüttenkäse für die Chatschapuri. Sie liegen schon auf den Tellern und verströmen einen heißen Duft, die Fladenbrote, die Chatschapuri heißen. Sie werden aus Germteig gemacht, mit würzigem Weichkäse gefüllt und dann in der Bratpfanne überbacken.

Alle werken sie emsig. Auf den Herdplatten dampft und brodelt kochendes Wasser. Auf den Nudelbrettern stehen sie stramm in Reih und Glied, kunstvoll gefältelte Teigtaschen, die aussehen wie mittelalterliche Geldbeutel aus Leder, die Chinkali.

Später dann, als alle am Tisch sitzen, werde ich instruiert, wie Chinkali zu essen sind. Man isst sie mit den Fingern. Nina zeigt es vor. Ich nehme dann das Hütchen der Teigtasche zwischen die Finger, beiße ein Loch in den Teig und schlürfe den Saft, der sich aus Faschiertem, Kräutern und Gewürzen gebildet hat. Anschließend wird der Rest der Köstlichkeit verzehrt. Ich weiß nicht mehr, wie viele Chinkali ich geschafft habe. In Georgien wird mitgezählt. Mir aber fällt auf, dass mein Sohn kräftig zugreift.

Er ist übrigens an diesem Tag der Hahn im Korb.

Nach dem Essen wird der Tisch leergeräumt. Während wir die Packerl öffnen, singt Bing Crosby „White Christmas“. Nunu, die außer Georgisch nur Russisch spricht, streift das Geschenkpapier glatt. Schwer zu sagen, wie sie sich fühlt unter Menschen, deren Sprache sie nicht versteht. Es wird zwar ein bisschen übersetzt, aber sie sieht müde aus und geht früh zu Bett. In ihren Augen les‘ ich jedoch Freude, dass ihre Tochter in einem Land Fuß gefasst hat, in dem es sogenannten „Wohlstand“ gibt.

Wir spielen den ganzen Abend Activity und weiß Gott noch was. Die Zeit vergeht wie im Nu. Kurz vor Mitternacht bringt mich mein Sohn mit dem Auto nach Hause.

Mit dem Gedanken, Georgien ist arm, aber reich an Gastfreundschaft, schlafe ich ein.

© Sonja M. Winkler 2020-12-04

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