von Klaus Rafenstein
Ich steige die Stufen hinab. Kellergewölbe am Wiener GĂĽrtel. So stelle ich mir den Proberaum der Beatles vor. Schummriges Licht fällt auf das alte Ziegelgemäuer. Sneakers, Stöckel- und Lackschuhe spazieren an den schmalen Oberlichtenfenstern vorbei. Svenja empfängt mich. Ihr kläffender Vierbeiner leider auch. Lautes Bellen. Erster Eindruck versaut. Gleich danach die Wende. Das Bellen mutiert in ein zutrauliches Winseln und Jakob schmiegt sich an meinen linken Unterschenkel. Svenja fĂĽhrt ihre Hände zum Gesicht um ihrer Verwunderung Ausdruck zu geben. „Das hat er noch nie gemacht.“ Ich schaue verwundert und sie erklärt: „Jakob kommt ursprĂĽnglich von einem rumänischen Schlachthof. Dort wurde er schwer misshandelt. Von verwahrlosten Schlächtern mit Stoppelbart. Seither hat er eine Allergie gegen Männer mit Stoppelbart.“ Ich streiche mir peinlich berĂĽhrt ĂĽber meinen Dreitagebart. Frauen mit Stoppelbart-Allergie hab ich schon erlebt, Hunde noch nicht. Und wie hat sie das mit verwahrlost genau gemeint? Der erste Eindruck kommt zurĂĽck. Svenja’s Verwunderung ĂĽber das zutrauliche Verhalten von Jakob hält an. Er scheint das Karma meines linken Unterschenkels zu lieben.
Doch ich bin hier um zu singen. Ich muss den Lachkrampf beim Schreiben dieser Zeilen unterdrĂĽcken. Wenn wir im Musikunterricht sangen, war ich der, dem der Musiklehrer leise zugeflĂĽstert hat, ich möge mich zurĂĽckhalten, so sche is des net. A Trauma was born! Aufgrund hochgradiger Notenlese-Inkompetenz bekam ich im Flötenunterricht die Löcher aufgezeichnet, die ich auf meiner Blockflöte zuhalten sollte. Meine Eltern waren unendlich stolz auf mich, als ich auf meiner Bontempi-Elektro-Orgel jedes Jahr das Weihnachtsfest mit schönen Liedern untermalte. „Der is so musikalisch unser Klaus“ stolzten sie stets unsere Besucher an. In Wirklichkeit saĂź ich wie ein Affe und drĂĽckte auf die nummerierten Tasten gemäß der „Noten“, die in Wirklichkeit Zahlen waren. Noch heute weiĂź ich die Ziffern-Abfolge fĂĽr Stille Nacht: 5-6-5-3 lange Pause 5-6-5-3 lange Pause 11-11-9. Inselbegabung musikalische Inkompetenz.
ZurĂĽck in den Keller. In den ich ĂĽbrigens kam, weil Manu und Doris mir von den beglĂĽckenden Stunden bei Svenja berichtet hatten. „Singen macht frei. Singen verbläst schlechte Stimmung und Depressionen.“ Das wollte ich ausprobieren. Deshalb ab in den Keller. Svenja setzt sich ans Klavier, ich darf daneben Platz nehmen. Jakob macht es sich unterm Tisch gemĂĽtlich. Ich erfahre ein paar Grundlagen des Stimmens und bin aufgefordert die Töne, die Svenja am Klavier anstimmt, nachzusingen. Nach dem dritten Ton erhebt sich Jakob, spaziert in die Mitte des Raums und wĂĽrgt mit einem Satz sein komplettes Mittagessen und FrĂĽhstĂĽck herauf. Der Hund kotzt. Riesen stinkender Haufen. Mein Magen verkrampft sich. Hundsgemein. Trauma fixiert. Svenja fĂĽhrt die Hände zum Gesicht und meint: „Das hat er noch nie gemacht.“
© Klaus Rafenstein 2020-03-23