Meine Eltern hatten zu DDR-Zeiten ein Wochenendgrundstück südlich von Berlin, zu ostdeutsch auch Datsche genannt. Dort standen ein Bungalow aus den 30er Jahren, ein Plumpsklo mit einem ausgestanzten Herz in der Tür und ein kleiner Geräteschuppen, umgeben von hohen Kiefern und Brombeersträuchern. Irgendjemand hatte die Gebäude mal liebevoll gelb und die Fensterrahmen rosa angestrichen. Die Farben waren zwischenzeitlich jedoch ziemlich verblasst und blätterten überall ab. Innen gab es nur einen großen Raum, der als Wohn- und Schlafzimmer diente, eine Küche, an deren Fenster noch ein Bett hinter einem Vorhang verstaut war, und einen winzigen Flur, in dem es eine geheimnisvolle Falltür im Boden gab, über die ein durchgetretener Läufer lag. Meine Eltern fuhren fast jedes Wochenende mit dem Trabbi dorthin. Mein Bruder und ich kamen dann am Samstag nach der Schule mit der Bahn hinterher.
Irgendwann war unsere Neugierde zu groß und wir leuchteten mit unseren Taschenlampen in die unheimliche Dunkelheit unter der Falltür im Flur. Zu meiner Enttäuschung fanden wir keinen verborgenen Schatz oder ein großes Geheimnis, nur ein paar leere Spinnennetze.
Wenn es draußen kalt wurde heizten wir den Kanonenofen im Wohnzimmer mit Holzscheiten und Kohlebriketts, der schnell eine wohlige Wärme im Raum verbreitete und gemütlich knisterte. Da das ganze Inventar anscheinend auch aus den 30er Jahren bestand, war es für uns Kinder immer eine Reise in eine andere Zeit. Sobald wir den Bungalow betraten und den Duft der alten Möbel, Teppiche und Bücher einatmeten, war das Stadtleben vergessen und wir tauchten in unsere eigene kindliche Fantasiewelt. Selbst die alten Dielen knarzten geheimnisvoll und versuchten, uns Geschichten zu erzählen.
Das Schlimmste war auf jeden Fall das Plumpsklo. Es stank, war dunkel und ich hatte immer Angst reinzufallen. Selbst eine kleine Modernisierung mit heller abwischbarer Tapete mit bunten Blümchen drauf machte das Örtchen nicht viel besser. Nachts hockte ich mich daher lieber heimlich hinter einen Baum, davon gab es ja genug auf dem Grundstück.
Mit meinem Bruder machte es riesigen Spaß, durch die Wälder zu ziehen und große und kleine Tiere zu beobachten. Wir fingen Fliegen, warfen sie der Kreuzspinne ins Netz und sahen zu, wie sie sich darüber hermachte. Im Komposthaufen hinter dem Bungalow wühlten wir uns durch die Erde und sammelten Regen- und Tauwürmer, um am nahe gelegenen See mit unseren Angelruten ein paar Barsche zu fangen, die wir anschließend ausnahmen und mit etwas Mehl in der Pfanne brieten. Oder wir zogen mit unseren Botanisiertrommeln los und sammelten Schmetterlinge, Käfer, Grashüpfer und Blätter, um sie dann später zu trocknen, in Ordner zu kleben und mithilfe von Lexikas zu bestimmen. Dann waren wir echte Entdecker.
Wenn wir mit den Fahrrädern durch den Wald fuhren, dann saß ich in meiner Fantasie auf einem Pferd und galoppierte davon. Dann war ich eine echte Reiterin.
Mein Fantasia!
© Katja van der Trappen 2022-11-27