Geschlossene Gesellschaft- 2. Tag

ArevdeGryps

von ArevdeGryps

Story

Ich stehe auf dem Balkon und starre Löcher in die Luft. Ich rauche nicht, aber jetzt wĂĽrde ich gern damit anfangen. Einfach, um was zu tun zu haben. Lange bin ich leider nicht allein, denn jetzt betritt Isy den Balkon mit einer Zigarette in der Hand. Eine selbstgedrehte mit einem seltsam verknoteten Ende. Nur ein Mensch macht solche Zigaretten. „Hast du die etwa Jo geklaut?“ frage ich. „Machst du jetzt einen auf Moralapostel?“ Isy zieht die Augenbrauen hoch. „NatĂĽrlich nicht. Mir ist es egal, wer von euch hier die Bude vollstinkt. Aber du weiĂźt schon, dass Jo ziemlich sauer sein wird.“ „Ach der. Der hat doch wieder einen ĂĽber den Durst getrunken. Der wird das gar nicht merken.“ „Na, wenn du meinst.“ Ich zucke ebenfalls mit den Schultern. „Und du?“ fragt sie, “Was frierst du dir hier drauĂźen einen ab? Du rauchst doch gar nicht.“ „Ich hab mal frische Luft gebraucht. Da drinnen erstickt man ja fast.“ „Kann ich verstehen.“ Isy bläst kleine graue Wölkchen in die Luft. „Sobald ich die Gelegenheit habe, werde ich von hier abhauen.“ „Wenn sich diese Gelegenheit ergibt“, sage ich zweifelnd, „Ich glaube, wir werden auch ohne Quarantäne hier festhängen.“ „Ach Kleine, das Leben ist noch lang und voller Ăśberraschungen. Glaub mir.“ Dieser Satz ist so abgedroschen, dass ich darĂĽber lachen muss. Isy schaut mich beleidigt an. „Der Satz ist zwar alt, aber er ist wahr, glaub mir. ICH kenne mich im Leben aus.“ „Nenn mich nicht Kleine“, sage ich verärgert, ohne auf sie einzugehen, “So was kann ich gar nicht leiden. Ich bin kein Kind mehr, auch wenn ich erst zwanzig bin. Und du musst dir nichts darauf einbilden, dass du mehr Lebenserfahrung hast.” Sie sieht mich einen Augenblick an, als wolle sie meine Worte ĂĽberprĂĽfen. “Schon gut”, sagt sie dann, “Tut mir Leid.“ “Ja, mir auch.” Wir schauen in die Ferne. „Wohin wĂĽrdest du denn gern?“ frage ich sie, „Also wenn du von hier wegkönntest.“ „Nach Kalifornien.“ In Isys Augen schleicht sich ein schwämerischer Blick, „Unter die Palmen und ans Meer. Dort wo immer die Sonne scheint. Warst du schonmal dort?“ „Ich war mal in Alabama zum SchĂĽleraustausch. In so ner winzigen Stadt mit dreitausend Einwohnern oder so.“ „Alabama…das sind doch die SĂĽdstaaten oder? Danke, da könnte ich drauf verzichten. Die Leute da spinnen da doch alle.“ „Alle nicht“ widerspreche ich, „Aber ich muss da trotzdem nicht nochmal hin. Dort ist alles so am Absacken, genau wie hier.“ „Und wohin wĂĽrdest du wollen?“ Ich ĂĽberlege einen Augenblick. Ich habe mir darĂĽber noch nie Gedanken gemacht. Ich studiere, dann bin ich fertig und werde hoffentlich einen Job finden. „Keine Ahnung“, sage ich, „Ich bin ja noch hier.“ „Aber deswegen kann man doch träumen“, meint Isy. Dass ausgerechnet sie das sagt, fĂĽr die alle Träume eigentlich schon vorbei sind. Ich stĂĽtze mich auf die BalkonbrĂĽstung, auf das kalte Metall. In den Geruch von Zigarettenqualm, scharfer Winterluft und dem kalten Beton der GroĂźstadt mischt sich ein leiser Duft von Rosenparfum.

(Handlung fiktiv)

© ArevdeGryps 2021-10-23

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