von ArevdeGryps
Wir machen eine WG-Party. Ich glaube, wir sind die einzige WG in dieser Stadt, die noch nie eine WG-Party veranstaltet hat. Jo hat das vorgeschlagen. Vielleicht braucht er auch nur einen Grund, um zu trinken, aber wir haben ja gesagt. Und nun sitzen wir auf dem Sofa, hören Musik und trinken Schnaps. Ich trinke mit, obwohl mir der Schnaps nicht schmeckt. Isy ist langweilig und sie fragt, ob wir was spielen wollen. “Wie wäre es mit Wahrheit oder Pflicht?” fragt Jo und grinst. “Sind wir aus dem Alter nicht raus?” sage ich missmutig. “Nein, finde ich ne geile Idee”, widerspricht Isy. Ich fange an , nehme Wahrheit und denke mir einfach alles aus. Das ist der Vorteil, wenn man sich nicht gut kennt. In den nächsten Runden nimmt Isy immer Pflicht, bis Jo meint, jetzt sei auch mal Wahrheit dran. “Oder traust du dich nicht?“ “NatĂĽrlich traue ich mich.” “Na gut. Wen verachtest du am meisten?” “Dich”, gibt sie patzig zur Antwort. “Sehr witzig.” “Aber diese Antwort hast du erwartet oder?” Sie grinst. Jo sieht sie beleidigt an. “Die Frage war ernst gemeint.” “Das ist aber kein ernstes Spiel”, erwidert Isy. Dann ist sie einen langen Moment still. “Meine Mutter”, sagt sie schlieĂźlich. “Was ist mit deiner Mutter?” fragt Jo. “Mann bist du schwer von Begriff. Das ist die Person, die sie am meisten verachtet, “ erwidere ich. Isy hat noch nie etwas von ihrer Mutter oder ĂĽberhaupt ihrer Familie erzählt. Und ich weiĂź auch, dass sie nur ein einziges Foto von ihrer Mutter hat, das in ihrer Schreibtischschublade liegt. Dort habe ich es zufällig entdeckt, als ich mir einen Kugelschreiber zurĂĽckholen wollte, den sie mir ausgeliehen hatte. “Warum eigentlich?” frage ich. „Weil sie sich nie wie eine Mutter verhalten hat“, antwortet Isy. Ich warte, dass sie noch etwas sagt, aber sie schweigt. Offenbar möchte sie nicht weiter darĂĽber reden. “Ja. Kann ich verstehen”, meint Jo. Isy sieht ihn an, als wolle sie ihn etwas fragen, doch Jo weicht der Frage aus und wendet sich an mich. “Du bist dran.” Ich bin in Gedanken immer noch bei Isy und dem was sie gerade gesagt hat, versuche es zu sortieren. Ich wĂĽsste gern, was sie gemeint hat, wĂĽsste gern, was Jo gemeint hat, aber ich weiĂź nicht, wie ich fragen soll. Und ĂĽberhaupt wir kennen uns kaum. Es gibt nichts Seltsameres als mit Leuten, die man kaum kennt, ĂĽber so private Dinge zu sprechen. “Pflicht”, sage ich abwesend, “Ach so nein…” “Zu spät.” Jo grinst wieder. Dann sieht er Isy an. “Du musst sie kĂĽssen.” Ich merke, wie ich knallrot werde. Hat er etwas gemerkt? Schnell drehe ich mich zu Isy, möchte ihr einen Kuss auf die Lippen drĂĽcken, schnell, schmerzlos und unauffällig. Doch Isy nimmt meinen Kopf in beide Hände, dreht die Lippen zu mir und wir kĂĽssen uns. Lang und intensiv. Ich kann den Alkohol in ihrem Mund schmecken, aber er schmeckt nicht mehr scharf und unangenehm, sondern schön und sĂĽĂź. Mir ist heiĂź und schwindelig und mein Herz klopft so sehr, dass ich das GefĂĽhl habe, dass es meine Brust zum bersten bringt.
(Handlung fiktiv)
© ArevdeGryps 2021-12-07