Geschwisterbande

Lisa-Marie Pohlmann

von Lisa-Marie Pohlmann

Story

Ich bin ein halbes Einzelkind. Eigentlich habe ich keine direkten Geschwister, sondern nur eine Halbschwester und einen Halbbruder väterlicherseits. Letzteren habe ich wohl einmal kennengelernt, als ich etwa drei Jahre alt gewesen sein soll – oder jünger. In meinem Kopf ist da eine schemenhafte, schlanke Figur und brennendes Backpapier mit Keksen im Ofen. Ob es diese Situation war, keine Ahnung. Eine Beziehung zu ihm habe ich jedenfalls nicht. Mit meiner Halbschwester sieht es ähnlich aus. Als ich 13 Jahre alt war, kontaktierte sie mich über Facebook und fragte, ob wir uns kennenlernen wollten. Ich wusste bis dahin, dass mein Vater aus erster Ehe zwei Kinder hat, habe mich aber nie wirklich mit ihrer Existenz auseinandergesetzt. Was ich nicht kenne, kann ich nicht vermissen. Neugierig war ich trotzdem, doch zum Treffen kam es nie. Auch blieb es bei diesem kurzen Chat. Ich habe vor ein paar Jahren gesehen, dass sie heiratete und ein Kind bekam. Eigentlich bin ich (Halb-)Tante. Komisches Gefühl.

Zwar vermisse ich nicht, was ich nicht kenne, dennoch nagte jahrelang in mir die Sehnsucht, zu wissen, wie sich eine Geschwisterbande anfühlt. Dorf sei Dank entwickeln sich solche Beziehungen schneller, als man manchmal realisiert. Buggi war der erste von meinen später sieben „Brüdern“. Ich habe sie eine sehr lange Zeit „Wahlbrüder“ genannt, aber das klingt furchtbar, auch wenn es akkurater ist. Buggi war nicht nur der erste, sondern auch der älteste meiner sieben Brüder. Er war derjenige, den ich immer anrufen konnte, wenn ich in der Klemme steckte; derjenige, der mir Tipps und Rat gab, insbesondere als Jugendliche; und gut Fahrräder reparieren kann er auch. Robert war der zweitälteste meiner Brüder. Eher distanziert, aber auf seine Art herzlich. Wir foppten uns häufig. Ein Wunder, dass wir nie eine Strichliste führten, wem irgendwann der Konter fehlte. Frieda ist die Art von Bruder gewesen, die einen unermüdlich zutexten konnte – meistens mit nicht sonderlich intelligenten Inhalten. Mit ihm bin ich aber gern essen gegangen. Das war unsere Routine – eine schöne noch dazu. Dann gab es da noch Basti. Er war derjenige, der immer geärgert wurde, aber auch derjenige mit der größten Klappe. Immerhin: Wenn er die Arme seitlich ausstreckte, blockierte er den ganzen Türrahmen. Er war lustig. Mit Max bin ich zur Grundschule gegangen. Wir konnten besonders gut einvernehmlich schweigen oder uns über andere aus der Freiwilligen Feuerwehr lustigmachen. An den sechsten Bruder erinnere ich mich schon gar nicht mehr. Und der letzte ist Ricky. Er ist der einzige, der heute noch Familie ist.

Menschen kommen, Menschen gehen. Wenn du dir deine Familie aussuchst, musst du damit rechnen, dass nicht jeder bleiben möchte. Und manchmal, wie im Fall von Buggi, wollte ich nicht mehr bleiben. Alles ist unverfänglicher, aber eben auch vergänglicher. Schade eigentlich, dass es manchmal nur ein Ereignis ist, das ein Verhältnis zerschmettern kann.

© Lisa-Marie Pohlmann 2022-12-18

Hashtags