Gespräch zwischen Fremden. Zusammen.

Benita Nold

von Benita Nold

Story

Und dann gibt’s da noch mich. Und ich steh irgendwo dazwischen. Ich bin nicht ganz hier und nicht ganz da, ich frag mich, ob da jemals irgendein Platz war, an den ich hingehörte. So vollkommen und für immer, das ist zumindest das, was man so hört. Dass jeder einen Fleck hat, einen, wo man hin passt, einen Ort, der ein zuhause ist, an dem man nicht nur die Welt, sondern auch sich selbst vergisst und einfach nur lebt. Einen Ort, an dem man nicht mal die Weite des Meeres vermisst, weil alles schon da ist.

Wie sehr wünsche ich mir diesen Ort, an dem mein Herz, abseits von Angst und Liebe, thront, ganz ohne Sorge nur in der Gegenwart wohnt.

Aber dieser Ort ist nicht da, ich kann ihn nicht finden, ich glaube ich muss mit der Angst verschwinden und mit ihr im Meer untergehen. Und die Luft anhalten, bis ich am Grund angelangt bin. Vielleicht ist die Angst mein Zuhause, der Ort, an dem ich Zuflucht finde. Vielleicht kann mein Herz hier ruhen, ich muss nur mitgehen und gar nichts tun, um am Leben zu sein.

Und obwohl es mich dort hin zieht, nimmt mich noch eine andere Hand. Sie ist weich und warm und lässt mich rasten. Wenn ich mit der Angst geh, glaub ich, dass ich was verpasst hab, etwas, das mir die Liebe gerne noch gezeigt hätte. Also bleibe ich stehen. Und schaue nach rechts und links. Und weiß nicht, wo ich hingehöre. Und sehne mich nach diesem Ort.

Ich frage mich, ob diese Zwei hier jemals miteinander geredet haben. Ob sie sich gesehen und sich gegenseitig zu verstehen versucht haben.

Denn wenn man so ganz objektiv und von oben und ohne Perspektive drauf sieht, dann haben sie doch viel gemeinsam.

Also strecke ich meine Hände aus, ganz weit. Und allmählich, mit der Zeit, sagt jedes Gefühl, ich bin bereit, dich mitzunehmen. Und gibt mir seine Hand. Und ich ziehe beide an mich ran und da stehen sie. Vor mir Angst und Liebe, schauen sich an. Ich glaube, sie kennen sich.

Die Liebe öffnet ihren Mund und die Angst tut es ihr gleich. Wie ihr Spiegelbild sieht sie nun aus, nur nicht goldstrahlend weiß, sondern schwarz wie die Nacht. Davor hab ich immer Angst gehabt.

„Endlich“, sagt die Liebe, „hast du mich erkannt. Mit allem was ich bin. Ergibt die Welt, dein Herz, für dich jetzt den Sinn, den du dir immer gewünscht hast? Ja, die Angst ist mein Freund und nicht nur das, sie ist mein Kind, mein größter Schatz, den ich hab, sie kann dich beschützen. In jedem Moment, sie gibt dir Mut, in jedem Moment, sie macht sich groß, dass dich nichts halten kann, sie spendet Trost, wenn’s dir zu viel wird. Sie ist ein Geschenk, das dich an mich erinnert. Sie zeigt dir, wer ich war und wer ich bin und dass wir beide Teile von dir sind.

Und mir wurde klar, dass Angst und Liebe nicht die Diebe meiner Kraft, sondern die Schöpfer aller Mut und Macht, aller Freude, aller Trauer, aller Wut und aller Schönheit sind. Und dass sie keine Fremden, sondern mit mir eine Familie sind, die in mir ihren Platz gefunden hat. Den Ort, an dem alles in Ordnung ist, an dem man sogar das Glitzern des Meeres vergisst, weil alles Schöne schon da ist.

© Benita Nold 2020-05-25