Gespräch mit Meister Hora

Cornelia Morhardt

von Cornelia Morhardt

Story

Es war dunkel und kaum ein Laut war zu vernehmen. Der Waldrand so still, kein Vogel, kein Windgeräusch zu hören. Ihre Ohren lauschten wachsam und gleichzeitig ruhten sie sich aus. Erholsam war das und ungewöhnlich.

“Es ist so still, dass man glaubt, man sei tot, wenn man mitten in der Nacht in dieser absoluten Dunkelheit und Stille aufwacht.”

Sie lauschte weiter. “So still, dass man nächtens manchmal sogar ein einzelnes Schnarchen aus einem Haus hören kann, wenn man auf der Straße daran vorbei geht!”

Er schmunzelte milde und geduldig.

Da! Ein Rauschen. Ein Summen. Kam das von Außen?

Ihr Herzschlag wummerte gleichmäßig und dumpf.

Da war sie, ihre wertvolle Bassmelodie des Lebens an sich.

Sie fragte: ”Stellt sich unser Puls auf den der Zeit ein? Ich meine nämlich, das Ticken zu hören?“

”Das, was ihr Sekunden nennt, meinst Du? Ja, sie klickern gewissermaßen dahin. Aber nur, weil ihr die Zeit mir der Uhr verbindet. Nicht mit Eurem Herzschlag.”

Er fuhr fort: “Zeit macht in Wirklichkeit kein Geräusch. Aber was wisst ihr schon über die Wirklichkeit…”

“Ich weiß schon”, sagte sie. “Unsere Uhren sind nicht lebendig. Sie sind dynamisch, aber dennoch mechanische Gebilde. Nur ein erfundenes Messgerät!”

“Daran glaubt ihr. Aber was genau messt ihr da eigentlich?”

“Wie haben uns etwas gebaut, was uns einen Rahmen in der Zeit definiert, nach dem wir uns richten können. War das falsch?”

Er legte seinen Blick gütig und ruhig auf das fragende Gesicht: “Ihr habt Euch ausgerichtet. Auch eure Zeitmesser habt ihr gerichtet auf den vielleicht zufälligen Zustand dieser Galaxie. Wie würdet ihr Zeit messen und einteilen, lebtet ihr in einer ganz anderen?“

“Ich verstehe. Dabei nehmen wir doch wahr, wie sie sich bewegt, die Zeit. Je nachdem, wie wir Stille oder Lärm wahrnehmen. In der Hektik kann sich Zeit so verflüchtigen, so schrumpfen, so dahin rasen, dass wir nicht den Hauch einer Chance haben, sie einzuholen.” sagte sie.

Er vervollständigte ihren Gedanken: ”Richtig. Und in eurer Sehnsucht, in eurem Schmerz, eurem Warten und in dem ohrenbetäubenden Lärm, den ihr macht, kann sich Zeit so dehnen, euch so lang vorkommen, dass ihr es kaum ertragt, so lange in ihr verharren zu müssen.“

“Trotzdem. In der Stille meine ich, die Zeit förmlich hören zu können” beharrte sie.

”Stille ist kaum einen Augenblick um euch. Sie ist aber immer in euch, wenn ihr hinhört!” sagte er und legte seine Hände auf ihre Ohrmuscheln.

”Du meinst, wenn wir vorbei hören an den inneren Stimmen und den umher springenden Gedanken?“

“In eure innere Stille hinein horchen zu können, ist mein Geschenk an euch. Gegeben habe ich euch dieses Geschenk von Beginn an. Da steht es, auf dem Gabentisch. Ihr solltet es nicht ungeöffnet da stehen lassen.”

”Vielleicht habe ich verstanden. Ich danke dir”, sagte sie “und ich verspreche dir, ich werde dieses Geschenk in Ehren halten!”

Dann ließ sie die Gedanken auf ihrem Atem ruhen und erhaschte einen Wimpernschlag lang eine Ahnung vom Inhalt seines Geschenks.

© Cornelia Morhardt 2020-10-11

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