Gestatten: MEIN Abstandswauwau

Melly Schaffenrath

von Melly Schaffenrath

Story

Als ich gestern den Titel von Doris Wallner´s Text las, musste ich laut auflachen. „Abstandswauwau“. Sehr gelungener Titel. (Anmerkung: Der Text ist nicht lustig, sehr interessant und lesenswert). Als ich den Titel sah, schaute ich auf den schwarzen, schnarchenden Fellhaufen neben mir auf der Couch und meinte in seine Richtung: „Abstandswauwau. ICH hab schon einen!“. Das Schnarchen verstummt, das Köpfchen hebt sich und braune Hundeaugen schauen mich treuherzig an. Er hievt mit seinen Zahnstocher-Haxerln seinen übergewichtigen Körper hoch, kommt zu mir und haut sich schwerfällig halb auf mich drauf. Eine Vorderpfote hochgehoben, den Bauch in meine Richtung gedreht, der Blick sagt: „Ich bin süß und total arm! Streicheln, Kraulen! Hier, am Bauch! Jetzt!“.

Während tue, was verlangt wird und er genüsslich die Augen schließt, denke ich über meinen Abstandswauwau nach. Praktisch, zu Corona-Zeiten. Zu Hause ist er ja wirklich ein Kuschel-Prinz. Aber draußen mutiert er zum Mini-Monster. Noch vor knapp 2 Monaten, als er zu uns kam, wurde draußen konsequent alles angekläfft. Kein „ein bisserl bellen“. Mehr so ein: „Hau ab, geh weg, ich schwör, ich bring dich um, ich zerfleisch dich, ich mach ernst!“. Knurrendes Zähne fletschen. Und nicht zu vergessen, die spontan geschlagenen Salto´s, durch das plötzliche, ruckartige in die Leine springen. In der Anfangszeit wirklich bei jeder noch so kleinen Begebenheit: bei allen Radfahrern, Katzen, Hunden, jedem Fußgänger, der es wagte denselben Gehsteig zu benutzen… Man könnte sagen, die Spaziergänge waren etwas unentspannt.

Gut, wenn sich jetzt ein Chihuahua so präsentiert, ist das für die Meisten eher weniger beängstigend. Mit diesen mickrigen Zähnchen ist er kaum in der Lage, sein Trockenfutter zu kauen, von „jemanden zerfleischen“ sind wir da schon meilenweit entfernt. Aber lästig ist das trotzdem. Und ziemlich laut. Das Positive an so einem Abstandswauwau: Niemand kam uns zu Nahe. Wenn es jemand wagte, uns anzusehen oder gar anzusprechen wurde dieser prompt aggressiv kläffend verjagt. Sofort wurde ein großer Bogen um uns gemacht. Der empfohlene Abstand von einem Meter wurde, wenn irgendwie möglich, gern verdoppelt. Zack, Einhalten der Corona-Regeln kein Problem mehr.

Blöd eigentlich, dass wir so brav üben. Z.B. dürfen 19 von 20 Radfahrern problemlos passieren. Beim 20. ist es auch nur ein Problem, wenn er von hinten kommt und der Zwerg erschrickt. Fußgänger dürfen mittlerweile auch denselben Gehsteig benutzen wie Herr Hund. Und fremde Menschen dürfen mich sogar ansprechen, ohne dass sofort randaliert wird. Besserung pünktlich zur 2. Corona-Welle, wo ich doch den Abstandswauwau so gut gebrauchen könnte.

Gedankenverloren kraule ich den Bauch des Minimonsters. Seine Pfote hält meine Hand fest, damit ich auch ja nicht damit aufhöre, die Augen genüsslich geschlossen. Ach, so süß, mein Abstandswauwau …

Foto: MEIN Abstandswauwau

© Melly Schaffenrath 2020-10-25