von Jack_Lemon
Bei dem Thema gewaltfreie Kommunikation muss ich immer an den starken Kontrast zu meiner Schulzeit, im Irak der 90er, denken. General kann man es als Fakt darlegen, dass Gewaltfreiheit nicht unbedingt die kulturelle Stärke des Landes ist, sei es in der Kommunikation als auch beim Handeln.
Andererseits, waren die pubertierenden Schüler, der Mittelschule „Al-Tamim“, mit ihren mangelhaften Anwesenheitszeiten und dem durch raue Lebensumstände geprägten Alltag, auch nicht die Pflegeleichtesten. Das erste was sie mir beibrachten, war wie man hinter den Schüler WCs über die Mauer klettert, um aus der Schule auszubüchsen. First things first.
Einer meiner Klassenkameraden zeichnete sich anhand seines überdimensionalen großen Kopfes aus, der bei stressbedingten Situationen dazu tendierte, sehr schnell, knallrot anzulaufen, weshalb ihn alle nur Ali „Tomate“ nannten. In einem Land, in der jeder zweite nach dem verehrten schiitischen Imam Ali benannt wird, kommt man bei fünf Alis in der Klasse an einer strukturierten „Ali-fizierenden“ Namensgebung nicht vorbei.
Zu allem Überfluss produzierte sein überdimensionaler Kopf oft Kommentare, die selbst die sanftmütigsten Lehrer zur Weißglut trieben. So wie unseren geschätzten Englischlehrer „Quasim“, der nachdem ihm endgültig der Geduldsfaden gerissen war, Ali Tomate nach vorne holte um ihm eine derartig heftige Ohrfeige zu geben, dass das ganze Klassenzimmer vom Kreidestaub vernebelt wurde. Trotz der weißen Wolke blinkte sein Kopf rot, ehe der arme Junge mit einem Fußtritt aus der Klasse befördert wurde. Für uns Alltag, jedoch sollte man sich noch Jahre an die legendäre Ohrfeige erinnern, die das ganze Klassenzimmer vernebelte.
Was meine Mathematikschwäche anbelangte, so verbesserten sich meine Leistungen durch unseren Lehrer „Riadh“ dramatisch, der immer einen Stock aus Palmenholz bei sich hatte, dessen systematischer Einsatz die Disziplin hochhielt. War man frech? Gab es einen Satz auf die Handflächen. Kam man zu spät? Handflächen. Fehlte die Hausaufgabe? Richtig, Handflächen. Bei all der pädagogischen Schwäche, muss man dennoch festhalten, dass er stets ein fairer Lehrer war und nie aus sadistischen Motiven handelte.
Da ich zu den Braven gehörte, kam ich mit dem Stock nie in Berührung. Bis auf das eine Mal, als ich tatsächlich meine Hausaufgabe vergessen hatte. Reumütig stand ich vor „Ustadh Riadh“, der mich genauso reumütig anblickte. Ich kannte es ihm an, dass es ihm leid tat, doch System ist System und bei einer Horde irakischer Jugendlicher, konnte das kleinste Anzeichen von Schwäche zur Rebellion führen. Also bekam ich – zack zack – auf jede Handfläche einen halbherzigen Klaps, der trotzdem genug Schwung hatte um ein Sausen in die Luft zu zaubern.
Gewalt im Schulalltag gehört im schönen Wien zum Glück der Vergangenheit an, doch muss man sie aus allen weiteren Aspekten des Lebens verbannen, gilt sie doch als das Analphabetentum der Seele.
© Jack_Lemon 2020-04-16