Gewebeprobe am Limit

MISERANDVS

von MISERANDVS

Story

Zeit für meinen “Stanz”, damit wir rausfinden, wieso mir die Schnauze blutet. Ich hock am Stuhl in der Uni-Klinik. Drei Ärztinnen in Ausbildung besprechen direkt neben mir ihre Urlaubsplanung. Dabei sehen sie sich den aktuellen Behandlungsplan am PC an. Das Bild wird auf dem Display direkt vor meiner Nase auch angezeigt. Ich schüttle den Kopf. Datenschutz ist nicht! Sie werden sich nicht recht einig, und ich lese die Patientendaten der letzten Monate und der kommenden Wochen. Irgendwann sag ich: “Schau an, die Frau S. ist grad in Koje 4! Und der Herr C. ist heut auch da.” Die drei sehen mich an, ich sehe sie an, dann sage ich: “Was geht nur in ihren Schädeln vor?” Sie machen das Bild aus und trotten beleidigt von dannen.

Mein Arzt kommt. Uni-Prof. Dr.Dr. Irgendwas. Er will wissen, wie die Behandlung angeschlagen hat. “Schlecht.”, sage ich, und er meint: “Gut, dann mach ma a Gewebeprobe.”, und er lässt allerlei Schlachtgerät vor mir auflegen. Ich bekomm alles erklärt, eine Spritze in die Wange, und dann sticht er mir ein Stück Fleisch aus der Wange nah am Kiefer. “Sauger!”, sagt er, und die Ärztin in spe lehnt sich von hinten über mich, drückt sich an mich, sie liegt quasi mit ihrem kompletten Oberkörper auf meiner Schulter und schiebt mir den Sauger in die Klappe. Ihre Wärme kriecht mir in den Leib, und ich fühl mich sehr unwohl. Das ist zu nah! Viel zu nah! Weil der Schnitter grad meine Wunde vernäht, kann ich nichts sagen. Einem Zahn-Fleischer ist man am hilflosesten ausgeliefert. Als er sein Zeugs hinlegt und sagt: “So, fertig!”, spring ich auf, stell mich mit dem Rücken ans Fenster. Es schüttelt mich am ganzen Leib, kalter Schauder am Rücken. “Alles ok?“, fragt er. Ich nicke: “Jaja!”, sage ich, und mir rinnen plötzlich Tränen über die Wangen, und ich zittere am ganzen Leib. Er bespricht mit mir die weitere Vorgehensweise, drückt mir Papiere in die Hand, die in meinen Händen flattern. Weil er auf Urlaub geht, findet die Labor-Besprechung erst Anfang September statt. Scheiße! Ich bekomm zwei Salben auf Rezept für die blutende Zunge und die Wunde. Als ich sie zitternd falte, fragt er wieder: “Alles gut?” Ich nicke. Dann soll ich eine Überweisung unterschreiben. Ich nehm den Kuli. Meine Hand zittert so sehr, dass er mir in weitem Bogen aus den Fingern springt. “Wollen sie sich setzen? Wollen sie Zucker haben?”, fragt er. Zucker? Ich bin doch kein Haflinger, Mensch! Ich nehm den Stift wieder auf, setze ihn am Papier auf; die Spitze tackert laut auf dem Tisch. Ich bekomme im zweiten Anlauf eine krakelige Unterschrift hin, die keinerlei Ähnlichkeit mit meinem Namen hat. “Was ist denn nur los mit ihnen?”, fragt er. “Ich halt Menschen in meiner Nähe grad sehr schlecht aus. Und das…”, und ich deute auf die Saugerin: “… das war mir grad viel zu nah.” Am Gang fang ich im Gehen hemmungslos und laut zu weinen an. Seit Lydias Tod ertrag ich Menschen in meiner Nähe nicht mehr. Mir gehts definitiv nicht gut momentan. Und es wird jeden Tag schlimmer.

© MISERANDVS 2021-07-19

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