Gewitterangst

Brigitte Böck

von Brigitte Böck

Story

Eine Geschichte bei story one über Blitze ließ meine alte Kinderangst vor Gewitter noch einmal aufleben. Diese Angst hatte ich, so lange ich denken kann. Mit 7 Jahren fiel es meinem Vater ein, zumindest nannte er sich so, mir die Furcht durch eine perfide Methode abzutrainieren.

Gab es in der Nacht Gewitter weckte er mich, was meist gar nicht nötig war, und fuhr mit mir zu einem nahegelegenen Park. Dort stellte er mich mitten auf eine große Wiese und sagte: „Ich hole dich irgendwann wieder ab und du rührst dich nicht von der Stelle“. Es war egal, ob es in Strömen goss oder ich zitterte, er ließ mich einfach allein. Da ich bereits als 5 Jährige mir versprochen hatte, dass mein Vater niemals meine Tränen sehen würde, blieb ich wie ein Stock stehen, verkrampfte meine gesamte Muskulatur, atmete flach und wartete. Das Grauen in mir und das Gefühl, zu sterben manifestierte sich durch dieses Training für mein ganzes Leben.

Kam er nach einer für mich endlosen Zeit zurück legte er seine Hände, auf meine Arme oder Beine und sagte:“ Du zitterst ja am ganzen Körper, ich gehe noch einmal weg. Wir üben das in den nächsten Wochen, bis du dich so unter Kontrolle hast, dass kein Zittern mehr durchkommt. Der Mensch muss frühzeitig lernen, seine Angst zu beherrschen.“ Und so übte ich eisern, meine Gefühle abzuspalten, nichts mehr zu fühlen und mich tot zu stellen, damit diese Erlebnisse endlich aufhörten. Dieses Training ging etwa über ein Jahr, bis eines Nachts mein Vater mich abholte und sagte: „Du hast aber lange gebraucht, ein Junge hätte das schneller geschafft, aber jetzt zitterst du nicht mehr und fühlst dich ganz normal an. Jetzt können wir damit aufhören. Und nun bedanke dich bei deinem Vater.“

Ich habe mich nicht bedankt, kein Wort kam über meine Lippen, ich biss die Zähne zusammen und dachte, wenn ich groß bin, dann bringe ich dich um!

Diese Erziehung hat viele Jahre fatale Auswirkungen auf mein Leben gehabt. Das Abspalten meiner Gefühle konnte ich oftmals nicht mehr kontrollieren und das beeinträchtigte meinen Kontakt zu anderen Menschen schmerzlich. Das diese Konditionierung noch zu allem Überfluss mit einem pervertierten christlichen Glauben untermauert war verstärkte meine Probleme.

Erst durch die Geburt meines ersten sehnlichst erwarteten Kindes kam eine Öffnung in mich, ich fühlte Liebe, ein kaum gekanntes, heilendes Empfinden. Ich wollte alles anders machen und ich machte alles anders. Es dauerte Jahre und es war eine harte aber befreiende Zeit mit Rückschlägen. Mir sind Menschen begegnet, die mir sehr geguldig geholfen haben und mein wunderbarer Beruf mit Kindern tat ein Übriges. Für vieles bin ich heute dankbar, ich durfte eine große Empathie entwickeln für jede Form von Unterdrückung, Angst und Schmerz.

Im Alter erwachte in mir ein großes Bedürfnis nach innerer Führung, eine Sehnsucht, die stärker war, als ich und so kam ein tiefer Glaube in mein Leben, der mich heute trägt. Ich habe Frieden in mir gemacht, das fühlt sich so gut an.

© Brigitte Böck 2020-07-25