„Gib mich die Kirsche“

Dietrich Grönemeyer

von Dietrich Grönemeyer

Story

„Didi … hau endlich die Pille ins Tor“ – „Herbert, los, Mann, rechts antäuschen und links vorbei, mach schon!“ – „Willy, schlaf doch nicht ein, pass da hinten auf!“ Ich höre meinen Vater noch, wie er mit seinem „abben“ Arm – so nannten wir Kinder seinen rechten Armstummel, der als Mahnmal des Krieges übrig geblieben war – uns liebevoll, aber kräftig am Strand während der unzähligen Fußballspiele zur Seite drückte. Er heizte uns Kinder richtig an. War er doch zeit seines Lebens selbst Fußballfan. Vermutlich sind wir Brüder sogar mit einem Ball zur Welt gekommen?! Wie andere Kinder auch. Mit dem Ball ständig in Kontakt, mit Füßen, Händen, Körper oder Kopf berühren, jonglieren – nach vorne, nach hinten passen, dribbeln, Fallrückzieher. Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Tennis. Egal. Hauptsache, ein Ball war im Spiel! Doch die meiste Zeit verbrachten wir mit Fußball. Meistens auf der Straße in Bochum mit Nachbarskindern und Freunden, später in der Schulmannschaft und in Vereinen. Häufig in den Ferien am Strand in Holland. Von klein an bis zur Pubertät. Unvergessliche Momente der Freude und Leidenschaft. Auch Tränen flossen … Das gehörte dazu – wir lernten fürs Leben. Doch das war uns damals noch nicht klar.

Wie selbstverständlich spielten wir auch mit Kindern anderer Nationen ohne Verständigungsprobleme. „Wozu reden? Gemeinsam sind wir stark, und sich freuen“ war unsere Devise. Ob mit internationalen Kindern in den Ferien oder den Kindern polnischer, italienischer oder griechischer Gastarbeiter oder der Kumpel im Ruhrgebiet. Der Ball verbindet unglaublich die Seelen.

Die tolle Zeit in Kindheit und Jugend mit meinen Brüdern ist unvergesslich. Wir drei waren alle gute Sportler, tobten und lachten viel und übten nonstop. Willy das Hechten als Torwart, Herbert das präzise Flanken und ich als Mittelstürmer den vollendeten Torschuss. Schöne unhaltbare Torschüsse, am liebsten aus der Drehung nach traumhaften Flanken waren unser Ziel.

Der legendäre Satz von Lothar Emmerich von Borussia Dortmund, dem begnadeten Torschützenkönig von 1966, der mit Sigi Held als „Terrible Twins“ in die Fußballgeschichte einging, so gigantisch waren ihre Doppelpässe, hat mich geprägt. Mit „Gib mich die Kirsche!“ forderte er vehement zum Abspielen auf. „Denn mit einem Doppelpass macht man jeden Gegner nass!“ Niemand wusste es besser als Emma. Leidenschaftlich bis zum Umfallen zu kämpfen. Immer fair zu bleiben und das Ziel nie aus den Augen zu verlieren. Durch Teamplay gewinnen, selbst wenn es aussichtslos erscheint! Das ist seit damals mein Lebensmotto. Und als Arzt gerade jetzt.

© Dietrich Grönemeyer 2020-04-26