von Luca Körnich
Er hat sich gemeldet. Er hat geschrieben! Jetzt habe ich seine Nummer. Kann dem gelben App-Kästchen entfliehen und ihn meinen persönlichen Kontakten hinzufügen. Bin irgendwie stolz auf mich. “Wann treffen wir uns wieder? Ist Belfast ein Film, den man gerne zwei Mal im Kino sieht?” Ich denke ja. Sitzen also im abgedunkelten Kino. Er riecht gut und ich bin abgelenkt. Wie soll ich ihm da gleich nur sagen können, wie ich den Film fand? Da kommen seine Finger fragend zu mir. Kurz Starre, doch dann gebe ich ihm meine Hand. Langsam und nur Stück für Stück. Er streichelt sie und es fühlt sich gut an. Kein Druck, kein Stress, nur Wärme. Im Restaurant sind wir die Letzten. Wir können miteinander reden. Öffnen unser Herz. Eigentlich müsste mir das Angst machen. Aber heute nicht. Ich rede über schlechte Zeiten, Depressionen. Er von Therapie. Den letzten Zug nach Hause erwische ich gerade so. Zwischen uns ist wieder nicht mehr passiert. Doch seltsamerweise stört es mich nicht. Stattdessen spüre ich auf dem Heimweg – die Dunkelheit zieht rauschend an mir vorbei -, ich will ihn wieder sehen.
„Wie war euer Treffen?“, fragt meine Mitbewohnerin mit einem Lächeln von ihrem Bett. „Gut“, sage ich nur, weil ich nicht weiß, wie ich es erklären soll. „Habt ihr euch geküsst?“ Ich sehe sie ein paar Sekunden nachdenklich an, dann schüttele ich den Kopf und gehe schlafen.
Das nächste Mal ist er bei mir. Sein Kopf ist bei seinen Problemen und er hat viele. Er fühlt sich aufgerieben. Doch wir gucken einen Film und er kommt zur Ruhe. Kann seine Augen bald schon nicht mehr offen halten, streichelt mich aber trotzdem noch weiter. „Du kannst hier schlafen, wenn du willst“, sage ich. Er ist dankbar. Der Heimweg ist weit. „Liegen wäre jetzt wirklich gut.“ Ich wundere mich darüber, wie normal es ist, mit ihm zusammen ins Bad zu gehen und Zähne zu putzen. Wir sind ganz still und beobachten uns gegenseitig. „So spucke ich die Zahnpasta auch immer aus“, sagte er nachdenklich, dann fragt er: „Hast du einen Eierbecher für meine Kontaktlinsen?“ „Du kannst die haben“, sage ich und reiche ihm einen Behälter. „Trage selber auch welche.“ Dann gehen wir schlafen. Eigentlich scheint das Licht einer grellen Straßenlaterne in mein Zimmer, trotzdem sehen wir uns ohne unsere Kontaktlinsen nur verschwommen. Es beruhigt mich nur seine Stimme zu hören. Irgendwann gehen seine Augen zu. Er ist fast eingeschlafen. Trotzdem murmelt er noch etwas. „Was sagst du?“, flüstere ich. „Gibst du mir deine Hand an der Front?“, sagt er genauso leise. Ich nicke, auch wenn er das nicht sehen kann und lege meine Hand vorsichtig in die seine. Dann schließe auch ich meine Augen.
© Luca Körnich 2022-07-26