von Walter Weinberg
In Chemie stand überraschend ein Unbekannter neben Prof. Schramml, der verkündete, dass Prof. Zipko unser neuer Chemie- und Physiklehrer wird. Zipko, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte, setzte sich in die Reihe hinter mir und beobachtete den Unterricht. Als ich mich aus Neugier zu ihm umdrehte, machte er mit dem Finger eine Kreisbewegung, die anscheinend „umdrehen“ bedeutete. Zipko wirkte vom ersten Augenblick unfreiwillig komisch. In seiner ersten Unterrichtsstunde malte er in seine Mappe neben die Namen aller Schüler, die eine Brille trugen eben eine Brille.
Eine Woche später konnten wir gar nicht anders, und die gesamte Klasse lachte ihn richtig aus. Ich bekam nicht mal mehr Luft, so heftig musste ich lachen. Über der Hose von Professor Zipko blitzte eine knallige rote Unterhose hervor! Er hatte offensichtlich seine Unterhose über seinen Pullover gezogen, und das viel zu hoch. Irene, die vor mir saß, bekam auch fast keine Luft mehr. Er wirkte eigentlich wie ein Clown mit seinen Siebzigerjahre-Samtanzügen und Glockenhosen. Wir sahen am Kino-Abend oft Filme aus Tschechien, wo die Menschen aus dem Osten ähnlich wie Zipko gekleidet waren. Als wir Zipko nach der Stunde auf dem Gang sahen, hatte er den Grund für unseren Spaß schon entdeckt und korrigiert.
Als ich morgens die Toilette betrat, sah ich, wie Tom aus dem Müllsack Papierreste heraus nahm. Auf dem zerrissenen Zettel stand die Überschrift: 1. Latein Schularbeit der 4. Klasse. Tom las das Datum der Schularbeit: der 14. 10. 1988, das war unsere! Er klebte die Teile des Zettels im Studiersaal wieder zusammen. Warum der Professor die Schularbeit wegwarf, war uns ein Rätsel. Darum konnten wir uns nicht zu 100 % darauf verlassen, dass wir wirklich diesen Text in Latein zum Übersetzen bekommen, aber wir hofften es. Wir schlossen einen Pakt, dass kein externer Schüler von unserem Fund erfahren darf. Es waren einige in unserer Klasse wie Christoph Bauer, der nur darauf wartete, sich mit so einer Meldung bei den Lehrern beliebt zu machen. Bis auf mich ließen sich alle den Text für die Schularbeit von den Achtklasslern übersetzen. Da ich im Vorjahr nach Thomas der zweitbeste Lateinschüler der Klasse war, traute ich mir zu den Text selber richtig zu übersetzen.
Am Tag der Schularbeit staunten wir nicht schlecht, es war tatsächlich der richtige Text. Wegen eines Schreibfehlers hatte Professor Lengauer die Schularbeit weg geworfen. Da die Reinigungsdamen den Müll vom Konferenzzimmer in den Müllsack des Internates warfen, wurde uns dieses Glück zuteil. Alle Internatsschüler waren ziemlich schnell fertig mit der Schularbeit. Bernhard schrieb sie deshalb zweimal, damit es nicht so auffällt. Die Internatsschüler bekamen auf die Schularbeit die Note Eins oder Zwei. Zu meiner Freude hatte ich von allen die beste Schularbeit geschrieben. Die Maturaklasse war also nicht so gut beim Übersetzen des lateinischen Textes wie ich! Lengauer schöpfte absolut keinen Verdacht.
© Walter Weinberg 2020-09-22