Trotz Ermahnungen meiner Mutter, nicht auf den zugefrorenen See zu laufen, waren wir, eine kleine Gruppe Mädchen, doch dort hingelaufen. Wir wollten nur am Rand ein wenig spielen und hin und her schlittern. Ehe ich mich richtig versah, waren mir meine Füße einfach weggerutscht. Es knallte ziemlich laut und tat wirklich höllisch weh. Mir blieb die Luft regelrecht weg und es gelang erst langsam tief zu einzuatmen. Warum sind die anderen Mädchen nicht hingefallen? Wut auf diese ungeschickte Schmach ergriff mich plötzlich und trieb mich wieder hoch. Wir liefen gemeinsam in Richtung Schilf. Ich wusste, im Sommer war es hier flach, da dürfte nichts passieren. Plötzlich hörte ich unter mir Eis krachen. Es zeigte nur weiße, lange Risse und ich glaubte, dass das Eis immer noch hält. Meinem Bauchgefühl folgend, drehte ich mich schließlich um und eilte in Richtung Ufer.
Die Eisfläche war wie leergefegt und bis auf mich waren alle in Sicherheit. Ich hatte zu lange überlegt, währenddessen war das Eis zerbrochen. Stand nun stocksteif vor Schreck bis zu den Knien im Wasser. Glück im Unglück, dass es nicht tief war. Hände griffen nach mir und halfen, dass ich schnell herauskonnte. Ich bedankte mich ziemlich kleinlaut, aber froh. Schnell liefen wir nachhause. Meine Schwester und ich, wir schlichen direkt am Ufer des Sees entlang. Es war eine Abkürzung, ein schmaler Pfad, der direkt zu unserem Haus führte. Das befand sich fast am See, nur war der Seeblick mit hohem Schilf zugewachsen. Unser Dach war wie alle Häuser mit Schilf gedeckt. Schnell und mucksmäuschenstill – wir wollten nicht gesehen und gehört werden. Doch unserer Mutter blieb nichts verborgen. Nach einer heftigen Standpauke und einem heißen Bad mussten wir ohne Abendbrot ins Bett. Stunden später durften wir dann doch noch etwas essen. Es hatte ihr schließlich leid getan. Wir waren uns in dem Moment der Schuld bewusst, dass wir nicht ihre mahnenden Worte gehört hatten. Nur hielt es nicht lange an!
Tage später waren unsere Gänse auf dem See festgefroren. Keiner traute sich aufs Eis, um sie zu retten. Wie durch ein Wunder begegneten wir ihnen später. Der Gänserich, sprich Ganter, der mochte mich nicht. Immer, wenn er mich sah, ging er auf mich los. Angst hatte ich keine. Es war nur unangenehm, wenn er auf mich zukam und mir in den Hintern mit seinem Schnabel kniff, denn als Beißen konnte ich das nicht bezeichnen. Einmal verfolgte er mich. Tapfer mit einer Schüssel Bratheringen in der Hand ließ ich mir seine Attacken gefallen. Auf keinen Fall wollte ich die Fische fallen lassen, gar selber fallen, sonst wäre es um unser Abendbrot geschehen. War ich erleichtert, als er von mir ließ. Eines Tages machten meine Schwester und ich uns einen Jux und schmissen von den Bauern die Mistgabeln und eine Schubkarre in den See. Nach Jahren haben wir uns gefragt,» Warum haben wir das bloß nur gemacht?« Bei uns wurden auf dem Hof Tontöpfe zerschlagen und ein Gartentor ausgehangen. Vielleicht war das der Ausgleich?
© Elisabeth-Christine Kayser 2021-04-27