von loislane
Weil ich kein neues Outfit gefunden habe, bin ich nicht zur Party gefahren. Am Bahnsteig habe ich darüber nachgedacht, dass es mir keine Freude machen wird, in meinem Alltagskleid zwischen all den Glitzerroben zu stehen. Unfähig mich bewegen zu können, damit ich dieser Alltäglichkeit nicht auch noch Bewegung verschaffe.
Also ist der Zug ohne mich gefahren. Und ich habe meinen Trolley wieder nach Hause gerollt. Jetzt sitze ich im kalten Haus, vor dem leeren Kühlschrank und überlege wie ich diese Jahreswende überstehen soll.
Wie die Jahre davor ist meine Welt plötzlich wieder für 48 Stunden eine Scheibe, von der ich zu purzeln drohe, wenn ich zu mutig an den Rand gehe. Darauf habe ich immer irgendwie auch Lust, doch die Riesenangst bewahrt mich vor waghalsigen Akrobatikaktionen und so sitze ich auch heute wieder lieber still und harre der Dinge, die nicht kommen werden und bin froh, wenn sich morgen wieder alles rund und bewährt weiterdreht.
Schon als Kind mochte ich das Getöse nicht. Schon immer habe ich nicht verstanden worum es geht, wieso in dieser Nacht Dinge möglich sind, die sonst nicht sein dürfen. Das Beste war schon immer am nächsten Tag aufzuwachen und zu wissen, dass wieder alle in Sicherheit sind.
Erbsensuppe und Bandnudeln. Aus dem Blackout-Vorrat – die Sachen sind vor Kurzem abgelaufen, die müssen weg. Sag mal, was sind das für seltsame Ideen? Im Keller sind noch Äpfel. Vom Baum hinter dem Haus, die haben wir einzeln aufgelegt auf das Holzregal, das noch mein Großvater gezimmert hat. Milchreis mit Apfelkompott – das gilt als Silvestermenü.
Im Keller ist es dunkel und aufgeräumt. Die Ordnung beruhigt mich. Das war viel Arbeit, alles zu sortieren, auszumisten, zu schlichten und aufzubewahren ohne Stockflecken und mittlerweile mit einer ruhigen Staubschicht, die meine Wunden bedeckt.
Ich schaue den Äpfeln beim Köcheln zu. Zimt und die Süße der Früchte verströmen eine Wärme in die kalten Räume. In eine dicke Jacke gehüllt, sitze ich im Wintergarten, schaue in die Sterne und bin so froh, dass ich dem Versuch widerstanden habe, dieses Jahr dabei zu sein.
Das Display leuchtet auf: „Liebes, selbst in deinem ältesten Alltagskleid, würdest du strahlen und funkeln. Du hast es versucht, das ehrt mich sehr. Sogar ein Bahnticket hast du dafür investiert. Die Ausrede lasse ich natürlich gelten, die hatten wir bis jetzt noch nicht, oder? … ich werde dich nächstes Jahr ganz fest umarmen und dann tanzen wir durch das ganze Jahr, Tag für Tag, vorfreudige Grüße und Happy 2025!“
Ich schließe die Augen. So dankbar bin ich, sein zu dürfen wie ich bin. Morgen, wenn sich das Karussell wieder andreht, ich werde mir ein schönes Tier aussuchen, aufsteigen und mitfahren. Nicht weil ich muss, sondern weil ich will.
© loislane 2024-12-31