von wasmitworten
Die sei super, man könne das GieĂen vergessen und sie wĂŒchse trotzdem, hatte ihre Schwester gesagt. Katrin war nicht gerade mit einem grĂŒnen Daumen gesegnet worden, wollte der laut Wikipedia âpflegeleichten Zimmerpflanzeâ aber trotzdem eine Chance geben. Nun stand die GlĂŒcksfeder seit gut einem Monat auf ihrem Fenstersims in Kreuzberg. Eine von dunklem, harten Gewebe umhĂŒllte Knospe war gerade dabei, sich zu öffnen. Das Seltsame daran: es war kaum Platz dafĂŒr. Direkt ĂŒber der ovalen Verpackung hellgrĂŒnem, neuen Lebens breitete sich ein groĂes Fiederblatt aus. Von den Seiten drĂ€ngten sich auĂerdem diverse schon vorhandene Stengel an den Kokon.
WĂ€hrend ihres ersten Jobs in London hatte Katrin auch einmal so eng gelebt. Zentral zwar, dafĂŒr auf 42 Quadratmetern und mit einer Mitbewohnerin. Sie hatte den StraĂenlĂ€rm und das Atmen der anderen Person im selben Schlafzimmer jede Nacht mit Ohrstöpseln ausblenden mĂŒssen. An das GedrĂ€nge auf den StraĂen und das schnelle Tempo hatte sie sich in den zweieinhalb Jahren dort nie gewöhnt.
Fast jeder in der Familie hatte sich bereits mit einer GlĂŒcksfeder eingedeckt. Neben ihrer Schwester, Mutter, Tante und GroĂmutter war Katrin die NachzĂŒglerin. âDie wird mal so groĂ wie ich, wenn wir nicht aufpassen!â, hatte ihr Schwager einmal gescherzt und stolz auf das raumeinnehmende GewĂ€chs gezeigt, welches die Höhe des Wohnzimmertisches erreicht hatte.
âStammt ursprĂŒnglich aus den WĂ€ldern Ostafrikasâ, las man im Netz ĂŒber die Pflanze, die manchmal auch Zamie genannt wurde. WĂ€hrend ihres freiwilligen Jahres in Nairobi war Katrin dieser in freier Wildbahn allerdings nie begegnet. Dasselbe satte GrĂŒn, als Kontrapunkt zum eindringlichen Rot der Landschaft, hingegen, ja, das hatte sie ĂŒberall wiedergefunden. Ăberhaupt schienen die Menschen dort, Ă€hnlich den Farben des Kontinents, intensiver zu leben.
Im Esszimmer ihrer Oma Ilse standen bereits zwei GefĂ€Ăe mit je einer GlĂŒcksfeder. Wenn Katrin zu Besuch kam, unterhielten sie sich oft und immer wieder darĂŒber, denn das GedĂ€chtnis der alten Frau erlaubte kaum ausschweifende GesprĂ€che.
âSehen sehr grĂŒn und krĂ€ftig ausâ, bemerkte Katrin.
âJa, gute Pflege!â, sagte die andere und hĂ€ngte ab und zu eine Frage dran: âWie lĂ€uft es in London?â
Sie sei doch nun schon lange in Berlin, antwortete die Enkelin dann. Lief gut dort, sie fĂŒhle sich wohl, weil sich jeder in Berlin wohlfĂŒhlen könne. AnschlieĂend sahen sie wieder in Richtung Fenster, zu den Pflanzen. Manchmal griff ihre GroĂmutter dann unvermittelt den Faden wieder auf.
âMan darf nur nicht vergessen, sie ab zu umzutopfen.â
© wasmitworten 2022-04-26