von Sheela Taheri
Man spricht mit der besten Freundin sofort darüber, wenn es passiert ist. Es ist das Highlight aller Filme, sei es eine billige Kitschromanverfilmung oder ein Kultfilm. Und keiner wird ihn vergessen, den ersten Kuss. Selbstverständlich ist nicht jeder Kuss hollywoodreif, aber es gibt sehr wohl jene, bei denen man sich fühlt, als würde man die Hauptrolle im neuesten Blockbuster spielen. Natürlich kennt man auch die anderen, bei denen man sich fragt, ob man im falschen Film sei, aber diese unschönen und oftmals eigenartigen Küsse seien an dieser Stelle außer Acht gelassen. Bei den richtigen Küssen gibt es ebenso verschiedene: die erste Annäherung, das Schutzschild, der Anfang einer spannenden Geschichte und nicht zu vergessen das große Feuerwerk. Letzteres ist das eben genannte Blockbuster-Highlight, der Kuss, bei dem man keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und unfassbar aufgeregt und glücklich ist. Das ist der Kuss, dem wir unser Leben lang hinterherjagen, und wenn wir ihn einmal erfahren haben, wird er zu einer Droge, auf deren Hochgefühl Verlass ist. Ich hatte diesen Kuss. Danach ist jeder Kuss anders, nicht unbedingt enttäuschend, aber normal. Ein normaler Kuss ist nett, allerdings war es das dann auch. Man fühlt sich wohl, vielleicht kribbelt es sogar ein bisschen. Deshalb versucht man es ein weiteres Mal und keiner könnte behaupten, es sei kein schöner Moment gewesen, doch die Trompeten und Engelschöre, die Gänsehaut von Kopf bis Fuß und die langsam in die Wangen steigenden Röte fehlen. Nur so schreiben diese Augenblicke im Leben Geschichten, die nur zwei Menschen in- und auswendig kennen. So kann ich unendliche Male von dem Kuss bei den bunt besprühten Wänden in der halbbeleuchteten Seitengasse erzählen oder von dem Kuss am Wanderweg, der fast durch zwei von Wind und Regen unvorteilhaft verrutschte Regenponchos verhindert wurde, aber nur wir beide können diese Momente zu Geschichten unseres Lebens erheben. Diese Geschichten sind alle einzigartig und vermutlich könnten sie dem einen oder anderen Schwarz-Weiß-Film mit aufwühlender Hintergrundmusik entsprungen sein, dennoch sind die auf der Leinwand vermittelten Gefühle nicht mit dem Erlebnis selbst zu vergleichen. Mein Mistelzweig war eben bloß die Laterne in der besagten Seitengasse, deren Glühbirne langsam versagte, und mein Sonnenuntergang war der graue Himmel, der versuchte, den Urlaub zu vermiesen. Meine filmreifen Lebensmomente hatten meist wenig mit Hollywood zu tun und sie fanden nur statt, wenn ich es am wenigsten erwartete, aber ich hatte ihn, diesen Kuss. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern einige Male und vermutlich werde ich nie voll und ganz von meiner Sucht danach geheilt werden, allerdings jage ich ihm nicht mehr hinterher, denn ich weiß, wenn er plötzlich wieder da ist, ist auf sein Hochgefühl Verlass.
© Sheela Taheri 2019-12-22