Goldene Bekenntnisse

Ulrike Nikolai

von Ulrike Nikolai

Story

Er hatte sich eine Füllfeder gekauft. Kostbar war sie. Die Feder war aus vielversprechendem Gold – denn dieses Versprechen hatte er sich selbst gegeben: Mit dieser Füllfeder würde sich sein Schreiben verändern.

Gold – das war für ihn der Inbegriff des Beständigen, des Überdauernden, des Kostbaren.

Er wollte seine geliebte Marie mit seinen Worten verzaubern. Besonders jetzt. Im Krieg. Sie sollte seine Briefe immer wieder lesen wollen. Briefe, in die er goldene und noch nie von ihr gehörte Liebesbekenntnisse einbetten wollte.

Jeden Morgen, wenn er aufwachte, sah er neue Seelenschwüre wie eine Laufschrift vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Und jedes Mal schlief er wieder ein und verlor seinen kostbaren Schatz, der in seinem Herzen klopfte. Er wusste: Diese Füllfeder würde in jenen schläfrigen Momenten einen sanften Funken in ihm entfachen, der ihn aus der Umarmung des Schlafs reißen und an den Tisch führen würde, um seine Gedanken in Worte zu gießen. Es würden glühende Worte wie heiße Lava aus ihr fließen. Sie würden das feine Papier, auf dem er schrieb, mit liebestrunkenen Sätzen füllen. Er wollte nicht mehr im Sande versickern lassen, was ihm in der frühen Dämmerungsstunde geschenkt wurde.

Das Gold … ja das Gold seiner Herzenssprache sollte diese Feder von Lüttich nach Berlin geleiten. Seine müde Laufschrift sollte das Laufen lernen …

Und so schrieb er seinen ersten Brief:

Lüttich, den 20.8.1914

Marie!

Wie soll ich die Anrede anders wählen? Du kennst mich ja doch schon so gut, dass Du weißt, wie ich es meine. Unsere Freundschaft reut mich immer noch nicht. Helfe uns der liebe Gott.

Ich sage das Du schon immer in Gedanken. Wir haben uns doch nie geduzt, aber mir kommt das unwillkürlich so. Es wird nichts Verletzendes für Sie dabei sein, weil Sie wissen, dass es von Herzen kommt. Wenn Sie unsaubere Reden oder Taten an mir gefunden hätten, wäre das ja anders. Wie mir manchmal das Herz weh tut über liederliche und unsaubere Redensarten von Kameraden. Wie glücklich bin ich dann, dass ich an Sie denken darf. Ich habe immer noch kein Lebenszeichen von Ihnen, aber ich weiß, dass Sie an mich denken. Und glauben Sie, dass ich an Sie denke? Sicherlich! Wenn ich mich abends zur Ruhe lege, bin ich immer dankbar, mich Ihrer erinnern zu dürfen. Ich schlafe dann so ruhig, als ob mir niemand etwas tun könnte.

Liebe Marie, Du hast trotz unserer Aussprache damals im Grunewald doch den Gedanken an unsere Zusammengehörigkeit nicht aufgegeben, ein Zeichen, dass Du mich doch nicht lassen kannst. Das sehe ich ja aus dem letzten Teile Deines Briefes. Wie hat mir das Herz freudig gebebt, wie ich das las, was Du mir nicht sagen konntest. Und dann: „Soll es nicht sein, so bedaure ich es nicht; dann hat es Gott nicht gewollt“ …

© Ulrike Nikolai 2024-10-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll
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