Goodbye Lenin

Albina Hovhera

von Albina Hovhera

Story

„Lenin hat uns allen die Augen aufgemacht“, lautete der berühmte Spruch der kommunistischen Ära. “Nur den armen Tataren nicht, sie haben Schlitzaugen“, scherzten die russischen Kinder. Als einzige Tatarin in der Klasse war es nicht leicht, darüberzustehen und zu lachen. Aber was blieb mir noch übrig? Weinen war nicht angesagt – sowjetische Kinder, „die Sprossen des Kommunismus“, mussten glücklich und mutig in die „leuchtende Zukunft“ schreiten.

Unter Lenins lobendem Blick schloss ich die Hauptschule ab und ging dann ins Sprachgymnasium. Gute Noten in Russisch und Deutsch – „eindeutig sprachbegabt“, lautete die Entscheidung der Aufnahmekommission an der Uni. Ich entschied mich für das Germanistikstudium und hoffte dabei auf die Möglichkeit, an einem Austauschprogramm teilnehmen zu können. Es war meine einzige Chance, dem Chaos zu entkommen, in dem das ganze Land bereits versunken war: Die Utopie des Kommunismus zerbrach und hinterließ nur Trümmer und Scherben.

Ich war fleißig, paukte deutsche Verben und Artikel ein. Ein Blatt vor dem Mund haltend, übte ich die deutsche Aussprache: Tafel-Titel-Tüte. Das Blatt sollte sich beim Ausatmen leicht bewegen. Nur das deutsche „R“ wollte mir nicht gelingen – der vibrierende Laut steckte im Hals und kam als kärgliches Krächzen heraus.

Meine Mühe hat sich gelohnt. Bald kam ein Brief aus Moskau: Ich war unter den Glückspilzen, die zwei Semester lang in Österreich studieren dürfen. In einer Stadt, von der ich noch nie gehört habe: in Graz. Ich musste nur noch die bürokratische Hürde überstehen: Das Innenministerium in Moskau war ein großer Stolperstein für alle, die ins Ausland wollten.

Während die russische Beamtin missmutig meine Dokumente durchblätterte, stand ich müde da und schaute mich im dunklen, schäbigen Zimmer herum: graue Wände, verwelkte Blumen, staubige Vorhänge. In der Ecke am Boden lag das Portrait des „Großväterchens“ Lenin. Er sah mich durch die Risse im alten zerbrochenen Glas an und sagte leise: ab in die leuchtende Zukunft!

© Albina Hovhera 2021-11-08

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