von Emma Kleyböcker
Das Jahr nach dem Abi. Und ich will irgendwie alles. Scheitern. Erfolge erzielen. Dankbar sein. Fahrräder im Gras, Sonnenstrahlen im Gesicht. Feiern gehen. Glut im Grill, Wut im Bauch. Plastikbecher in der Luft, ich in diesen Armen.
Wenn es echt ist, dann schreck’ doch nicht zurück, sag’ ich mir.
Wenn ich wüsste, er ist genauso verflucht worden wie ich, hätte ich keine Angst. Meine Angst gilt nicht der Liebe. Sie gilt den Menschen.
Dass ich ihm fälschlicherweise vertraue. Doch nicht nachdenken.
Der Bass lauter als meine Unsicherheit. Und zum ersten Mal seit Langem dreh’ ich mich schneller als meine Gedanken.
Ich will alles. Nur nicht zurĂĽck zu ihm.
Das Jahr nach dem Jahr nach dem Abi. Seit ich vor eineinhalb Jahren in die neue Stadt gezogen bin, ist alles neu. Das ist eine andere Art, ausgelaugt zu werden. Neue StraĂźen. Neue Orte.
Es sind nur du und Google Maps.
Neue Leute überall. Offen, aber ihr seid noch nicht so gut, dass du um 3 Uhr nachts bei ihnen klingeln könntest. Während des letzten Schuljahres hast du nicht gecheckt, wie schön es ist, alle falschen bis halb-echten Freunde in deiner Nähe zu haben.
Einerseits kann ich vieles allein, kaufe ein, vereinbare Arzttermine und finde mit Google Maps den richtigen Weg. Wenn nicht, dann komme ich lachend bei meinen neuen Freunden an und erzähle ihnen, wie ich falsch abgebogen und in einem anderen Stadtteil angekommen bin.
Andererseits habe ich nicht mal genĂĽgend Kraft, einkaufen zu gehen, fĂĽhle mich zu gesund, um mir Hilfe zu suchen, und zu energielos, um zum Arzt zu gehen, finde mit Google Maps zwar die Adresse, doch nicht den richtigen Weg.
Ich setze ein falsches Lächeln bei meinen neuen Freunden auf. Genauso falsch, wie sie es sind. Denn sie bemerken es nicht. Oder es ist ihnen egal. Weil ich irgendwo falsch abgebogen bin und wieder dort ankomme, wo ich während des letzten Schuljahrs losgegangen war.
Ich kann vieles allein, doch nicht gut allein sein.
Nicht, wenn ich in der heruntergekommenen neuen Wohnung bin, es Nacht wird und ich an die bröckelige Decke starre, von der sich die Spinne, die ich nicht geschafft habe, weg zu staubsaugen, und meine Angst langsam abseilen.
Sie kriecht mir wie die Kälte in die Glieder, weil die Heizkosten zu hoch sind.
© Emma Kleyböcker 2024-12-10