von Alexander Heller
„Da geht er hin, einer von Gottes eigenen Prototypen – ein aufgemotzter Mutant von der Sorte, die nie zur Massenproduktion in Betracht gezogen wurde.“ – aus Fear and Loathing in Las Vegas. Lange Zeit verknüpfte ich den Satz mit etwas Negativem. Als Prototyp hat man eine klare Aufgabe. Er hat seine Fehler, die das Endprodukt nicht mehr hat. Diese Fehler gibt es zu finden und zu beseitigen. Computerprogramme kann man mit Updates besser machen. Bei Menschen funktioniert das nicht. Jedenfalls noch nicht. Irgendwann in ferner Zukunft wird es bestimmt Updates für Menschen geben. Wozu auch ein Buch lesen, wenn man sich das Wissen direkt in die Synapsen programmieren kann? Jeden Morgen stehen wir auf, um besser zu werden. Sei es bei der Arbeit, Ernährung oder charakterlich. Fehler werden nicht mehr toleriert. Anstatt sie als Chance zu sehen, beißt man sich an ihnen fest. Es wird lieber gegenseitig mit dem Finger aufeinander gezeigt, als gemeinsam den Blick auf das Ziel zu behalten. Durch unsere angestrebte Perfektion verlieren wir das Menschliche und gleichen immer mehr einer Maschine. Anstatt noch 15 Minuten liegen zu bleiben, stehen wir auf und starten eine Runde Sport. Damit wir die Zeit am Morgen auch effizient nutzen. Den Kaffee gibt es To-Go, weil der auch im Gehen schmeckt. Wir werden den ganzen Tag von Terminen getrieben, sei es beruflich oder privat. Am Abend fehlt uns die Energie für uns selbst. Warum nicht aber das Gegenteil machen? Den Akku schonen, damit am Abend noch genügend davon übrig ist. Die Energie für sich und nicht für andere nutzen. Der letzte Moment, in dem wir überhaupt nichts gemacht haben, daran können wir uns kaum noch erinnern. Irgendwas zu tun gibt es immer und wenn es was zu tun gibt, dann wird das auch gemacht. Getreu nach dem Motto:„Jetzt hamwa‘s bezahlt, jetzt schalten wir‘s auch an.“ – Marc-Uwe Kling.
Ich habe lange gebraucht, bis ich kapiert habe, dass „mehr“ nicht immer besser ist. “Neuer” ist nicht immer schöner und “älter” nicht immer klüger. Ich bin stolz auf meine Ecken und Kanten und gleichzeitig auch irgendwie nicht. Wenn ich aber rund hätte werden sollen, wäre ich ein Ball geworden. Der springt fröhlich auf und ab, solange man ihn benutzt. Wer seine Freude und Zufriedenheit von anderen abhängig macht, steht am Ende traurig alleine da. Ich habe für mich beschlossen, ich bin kein Ball. Ich kann auch ohne fremdes Zutun hin- und herspringen. Ich bin nicht jedermanns Sache, aber das muss ich auch nicht. Ich bin ein Prototyp und eben kein Endprodukt, aber ich bin sehr zufrieden damit. Während manche also jeden Tag in ihr Hamsterrad steigen, um irgendwelche Erwartungen zu erfüllen, gehe ich erstmal in die Küche und mache mir einen Kaffee. Der schmeckt daheim nämlich viel besser, habe ich herausgefunden. An alle Prototypen da draußen, ihr könnt stolz auf euch sein. Macht weiter so!
© Alexander Heller 2021-10-19