Gottfried

iiKo

von iiKo

Story

Gottfried könnte seine Geschichte selbst erzählen, doch nach dem Vorfall in der norwegischen See, als sein Boot kenterte und er beinahe an Unterkühlung starb, stammelt er nur noch einsilbig, brummt und grunzt vor sich hin. In aufgeregten Momenten fuchtelt Gottfried mit den Armen und quillt die Augen aus seinem roten Pferdegesicht hervor. Daher gaben ihm seine Klassenkameraden den Spitznamen Pony. Gottfried antwortete nur widerwillig darauf und nutzte die erste Gelegenheit, um in Oslo zu studieren und ihren verhassten, pickeligen Fratzen zu entkommen. Er war schon immer ein Mann weniger Worte und übte seine Schulvorträge vor dem Spiegel. Der Logopäde, der aus der Nachbarstadt kam, schenkte ihm keine Beachtung, da er weder lispelte noch stotterte und es nicht als seine Pflicht ansah, das „aufgeregte Schweigen“ zu behandeln.

Während an der physikalischen Fakultät alle seine Hausaufgaben abschrieben und ihn um Hilfe bei Doktorarbeiten anflehten, nannten sie ihn auf Partys im Studentendorf hinter seinem Rücken Esel. Am Ende seines Studiums tat er drei bemerkenswerte Dinge: Er schaffte sich einen Husky namens Echo an, manipulierte den Sturz einer Radioantenne auf einen Campingplatz, wodurch ein paar verhasste Studenten stark verletzt wurden, und, wie idiotische Vorgesetzte es gern ausdrücken, last but not least, verliebte er sich in eine Frau, die ihn nicht liebte. Genauer gesagt, Brünhild kannte Liebe als Seelenzustand nicht, und Gottfried verwechselte ihre Emotionslosigkeit vorschnell mit einer Seelenverwandtschaft. Wie viele Männer hoffte Gottfried, nach der Hochzeit ausgiebig Sex zu genießen. Aber die Tochter der Flüchtlingsfamilie aus dem kommunistischen Kasachstan ließ ihn auf Norwegisch kühl und ausschließlich von hinten zu, um den angespannten Blick auf ihre Brüste zu vermeiden, die trotz aller Überredungskünste nicht wuchsen. Diese Art von Sex gefiel Gottfried von November bis April, aber in den hellen Sommernächten starrten ihn Che Guevara und Lenin von den unverhüllten Schulterblättern seiner geliebten Frau an. Und die verzerrten Grimassen der Revolutionäre ließen seine Erektion effektiver verschwinden als ein Quantenmechanik-Seminar.

Als die Radioantenne erneut auf den Campingplatz fiel, in dem sich diesmal Brünhild befand, war sie nicht mehr zu retten – und Brünhild auch nicht. Gottfried kaufte eine kleine Yacht und fuhr mit Echo in den Norden. Das einzige Wesen, das ihm wirklich etwas bedeutete, stürzte ins kalte Ozeanwasser und überlebte die Fahrt nach Svalbard nicht. Überwältigt von Trauer stellte Gottfried den gefrorenen Hund vor dem Haus auf und baute ihm eine Hütten-Kühlkammer, in der er die Sommertage verbrachte. Auf den UKW-Wellen des fast gottvergessenen Archipels tauchte ein neues Radio auf, dessen Programm aus Hundegebell am Morgen und am Abend an Werk- und Feiertagen bestand. Jeder, der den Wächter der Kohlenmine besucht, sieht den Hund mit einem Empfänger um den Hals und daneben eine Hütte mit dem Namensschild „Echo der Einsamkeit“.

© iiKo 2025-01-26

Genres
Humor& Satire