von Oneironaut
Jüngst träumte mir: Ich war Angestellte in einem riesigen Konzern, der auf die Herstellung kleiner Videoclips spezialisiert war – so eine Art Disney Company. Unsereins trinkt keinen Alkohol. Unsereins raucht nicht. Unsereins hat keinen Sex. Unser einziger Spaß ist ausschließlich: Gott. Wir arbeiten in riesigen Fabrikshallen wie tausende Nonnen in einem gewaltigen Kloster, ein unübersehbares Heer von blassen Computerfinsterlingen. Unsere Aufgabe ist es, Sequenzen von kleinen Filmchen im Comicformat aufzuzeichnen, die von Gott handeln. Diese Filmchen dienen zur psychischen Stabilisierung der Raumfahrer, die zu den extraterrestrischen Kolonien unterwegs sind, teilweise jahrelang, was vor allem – neben damit verbundenen physischen Strapazen – enorme seelische Irritationen und Belastungen mit sich bringt. Die kleinen religiösen Gottfilmchen meiner Disney-Firma sollen dem entgegensteuern und den gewaltigen Exodus von der Erde hinaus in den Weltraum unterstützen. Wir waren zu den herkömmlichen Opiaten zurückgekehrt. In den extremsten Belastungssituationen helfen nur mehr die alten Brachialfantasien (höheres Wesen und so) …
Die Erde torkelte wie eine schwer beschädigte Titanic im Sinkflug um die Sonne, und die Menschen eilten zu den Rettungsbooten, riesigen Raumschiffen, die in alle Richtungen ausschwirrten, wo bereits Schöne Neue Welten à la Planet Erde im Aufbau begriffen waren – beginnend vom Mars bis zu entferntesten Sonnensystemen mit erdähnlichen Trabanten …
Ich bevorzuge für meine Gottyclips traditionelle Motive: alter Mann mit weißem Bart, gutmütiger Großvatertyp mit Hang zu gelegentlichen Zornausbrüchen, die allerdings im Grunde harmlos und mittels diverser Rituale zu besänftigen sind. Die Clips sind alle interaktiv konzipiert, man kann also in die Handlung eingreifen und verschiedene Handlungsstränge erzeugen – bärtige Erlöserinnen, Sintfluten, Kreuzzüge und Päpstin spielen. Die Gameplayer werden jahrelang mit einem regen Auf und Ab und Hin und Her beschäftigt sein, fad wird einem mit so einem Gotty ja nie.
Ich beginne nun aber schön langsam selbst an ein Ticket für ein Rettungsboot zu denken, obwohl man auf der untergehenden Titanic natürlich bestens verdient als eine, die bereit war, noch nicht zu fliehen, sondern andern bei der Flucht zu helfen. Meine große Sorge, die mich immer mehr beschleicht, ist, ob ich als Produzentin des Opiums, die um die Herstellung des Opiums genauer Bescheid weiß als all jene, die nur konsumieren, überhaupt auf solche Ablenkungen ansprechen werde. Bei mir werden diese Clips nicht wirken, sage ich mir, rede ich mir ein – ich Närrin! – und verunmögliche so meine Flucht von vornherein. Der Traum wird schön langsam ein Alptraum, mein einziger Spaß, „Gotty“, wie unsereins das Produkt der Comicfirma liebevoll nennt, wird mir immer mehr verleidet, und ich frage mich, wann ich endlich aufwachen darf…
© Oneironaut 2019-07-21