Grabmal aus dem Reich der Toten Teil 2

Katja Michels

von Katja Michels

Story

„Ich weiß, und Du musst Dir merken, dass es kein Zufall ist. Seine Punkte reichen aus, gib den Link ein, wenn Du zu Hause bist, aber pass auf, es gibt einen Grund, warum dieser Weg für Sterbliche nur in Ausnahmefällen geöffnet wird.“ Das junge Mädchen versuchte herauszufinden, was ihr geliebter Onkel damit meinte. „Was?“, war das einzige Wort, das es noch hervorzubringen bereit schien. Woraufhin der Notar die Rückansicht seiner Krawatte offenlegte „Willkommen bei den Violettilisten“, die gleichen verschwommenen Buchstaben wie auf dem Umschlag, nur eben fein säuberlich auf weißen Untergrund genäht. Noch ehe Katrina es sich getraute weitere Fragen zu stellen, führte Onkel Karl seinen Zeigefinger zum Mund, um seiner Geste des Schweigens noch mehr Ausdruck zu verleihen. „Folge dem Link“, raunte er ihr noch leise zu, ehe er sich wieder Katrinas älteren Geschwistern zuwandte.

„Der Alte ist doch vollkommen durchgeknallt“, Margot stieg wild gestikulierend neben ihrem jüngeren Bruder die Marmorstufen des Amtsgerichtes hinunter. „Kein eigenes Büro, keinen Parkplatz, aber ne violette Krawatte von irgend sonem Sektengedings. Der hat sie doch nicht mehr alle.“ Katrina hörte noch, wie Hauke seine Schwester versuchte zu beschwichtigen, dann waren die Beiden aus ihrem Wahrnehmungsfeld verschwunden, sowie eigentlich ihr gesamtes Leben lang. Margot und Hauke zählten mit ihren 38 und 40 Jahren, über 15 Jahre mehr und irgendwie hatte sich niemals eine innigere Verbindung herstellen lassen. In manchen Situationen, so empfand Katrina häufiger, benahmen sich die beiden so dermaßen daneben, rein menschlich betrachtet zumindest, dass sie im Grunde ihres zarten Herzens froh war, nicht Teil ihrer allzu oberflächlichen Welt sein zu müssen. Zu Hause angekommen, gab sie sofort den Link des Schreibens der „Violettilisten“ ein und augenblicklich nahm der Bildschirm ihres Computers einen Farbton von dunklen, überreifen Pflaumen an. Wie von Geisterhand erschienen fremdartige Symbole und Schriftzeichen auf dem Monitor. Die seltsame Ahnung, nicht mehr alleine im Raum zu sein, ergriff von Katrina Besitz, sodass sie bei jedem kleinsten Rascheln ruckartig zusammenzuckte. „Wie lautet das Passwort“, ertönte eine dunkle, jedoch sanfte Stimme und brachte das junge Mädchen schließlich dazu, die Augen doch wieder zu öffnen. „Das Passwort? Woher sollte ich wissen …..“, ohne die letzten Worte auszusprechen, tippte sie die Buchstaben des letzten violetten Gegenstandes ein, der sich noch vor gut zwei Stunden ganz genau vor ihrer Nase befunden hatte: „Krawatte.“ „Lieben Dank“, die seltsame körperlose Stimme begann ein Sammelsurium an Zahlen/Worten/Lauten vor sich hinzubrabbeln: „Fristende am 09.12.2022, bitte bestätigen Sie die Freischaltung und genehmigen Sie die Weiterleitung an Ihren Portalöffner. Sie finden ihn in der Nacht zum 06.12. an dem Grabmal aus dem Reich der Toten, dem Ihres Vaters, erkennbar an der entsprechenden Farbmarkierung. Und haben Sie keine Angst, Ihre Seele ist noch rein, die Unterwelt wird demnach keinen Zugriff auf die Ihrige in Anspruch zu nehmen wissen.“ Katrina starrte unverwandt auf das Emblem der Violettilisten und fragte sich, was sie dort eigentlich tat.

© Katja Michels 2025-02-23

Genres
Romane & Erzählungen, Spannung & Horror
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Inspirierend, Mysteriös