von Katja Wilhelm
Ich bin ein guter Mensch. Ehrlich. Solange man mich nicht für dumm verkauft oder nach Strich und Faden verarscht würde ich mich als guten Menschen bezeichnen. Es braucht viel, um meine inneren Erinnyen zu entfesseln. Einer, des es geschafft hat, war mein Online-Date Peter. Peter war Arzt und via Internet in der heißen Phase seiner Scheidung auf der Suche nach einer Frau, mit der er Gespräche führen, spazieren gehen und Salsa tanzen konnte, so stand es zumindest in seinem Profil. Da wir auf den ersten Blick viel gemeinsam hatten, verabredeten wir uns nach einigen Chats zum gemeinsamen Spaziergang. Ich war hin und weg. Er war zwar kein Bild von einem Mann, mehr so etwas wie ein sehr stabiler Bilderrahmen, gleich breit wie hoch, mit dem Nacken eines brunftigen Stiers und der üppigen Haarpracht eines tibetischen Mönchs, aber wer war ich schon, dass ich auf Äußerlichkeiten achtete? Peter war abgesehen davon genau das, was mir als Lebenspartner so vorschwebte. Es stimmte schon, die Liebe macht nicht nur blind, sondern vor allem blöd. Von Peter hörte ich nämlich nach diesem unserem ersten und einzigen Treffen nichts mehr, außer ein paar Zeilen zum Thema „Warum ich mich eigentlich doch noch nicht mit einer neuen Frau treffen kann“. Er fuhr die „Ich-bin-noch-nicht-so-weit“-Schiene, und ich dumme Nuss glaubte ihm natürlich. Aber der Zweifel nagte an mir. Und auch mein Bauchgefühl suggerierte mir, dass es sich lohnen würde, hier nachzuhaken. Ich organisierte mir einen zweiten Account für die Singlebörse und mailte ihn ganz gezielt an, mit dem Argument, sein Nick-Name hätte mich spontan angesprochen. Um dem Ganzen ein wenig Pep zu verleihen, wurde ich zur rassigen Italienerin mit deutschen Wurzeln, die zwar unglaublich viele Tipp- und Rechtschreibfehler produzierte, aber dafür auch nicht schüchtern war. Es schmerzte mich, dass er auf ein baldiges Treffen drängte, da er hier auf dieser Plattform bislang nur „herbe Enttäuschungen“ erlebt hatte. Die herbe Enttäuschung war wohl ich. Vermutlich wollte ich ihn bis zu diesem Zeitpunkt nur testen, ob er wirklich noch nicht so weit war, sich mit Frauen zu verabreden, aber eigentlich kannte ich die Antwort bereits ab dem Moment, wo er meinem Alter Ego in Echtzeit antwortete. Ein Plan begann in mir zu reifen. Nicht umsonst hatte ich meine Diplomarbeit zum Thema „Rache“ verfasst, ich konnte hier also aus dem Vollen schöpfen, und zum ersten Mal in meinem Leben tat ich dies auch. Ich stellte mir den personifizierten Männertraum vor: lasziv und willig, zu allem bereit und Sex am liebsten noch vor dem ersten Treffen war Un-Ehrensache. Auf seinen Vorschlag, doch am nächsten Tag etwas trinken zu gehen, willigte ich ein, allerdings mit dem Nachsatz: „Wir können danach ja noch zu mir gehen. Oder ist dir das zu direkt?“. Nun, was soll ich sagen, die Begeisterung am anderen Ende der Leitung hätte größer nicht sein können, und vermutlich stand nicht nur die Leitung.
© Katja Wilhelm 2023-11-22