Granada sehen und sterben

Erdmann Kühn

von Erdmann Kühn

Story

Einmal im Leben nach Granada! Einmal die Alhambra sehen und wissen, warum der letzte muslimische König weinte, als er die Schlüssel an die siegreichen Spanier übergeben hatte und vom gegenüberliegenden Berg auf seine Stadt und seine Burg schaute. Einmal die wiederhergestellten Gärten, Wasserläufe, Paläste in all ihrer feinziselierten und überbordenden Schönheit sehen. Nachdem sie jahrhundertlang als Viehställe, Lager oder gar Steinbruch missbraucht wurden. Napoleon ließ gar die kunstvoll geschnitzten Holzvertäfelungen als Brennholz herausreißen und Türme sprengen, die doch für die Ewigkeit gebaut worden waren.

Ich bin selig, in Granada zu sein. An einem Ort, der anziehend ist wie ein Magnet. Einem Leuchtturm der Kultur und der religiösen Toleranz. So schwebe ich mehr, als ich gehe, durch die Fußgängerzone. Den Kopf in den Wolken, sozusagen. In den umwölkten Gipfeln der Sierra Nevada.

Plötzlich merke ich, dass etwas Flüssiges über meinen Rücken schwappt. Ich schaue an den Fassaden hoch, kann aber nichts entdecken. Ein Mann überholt mich und gestikuliert, zeigt auf meinen Rücken. Eine karamellfarbene Masse wie Kinderdurchfall mit Bröckchen klebt an Hemd und Hose bis runter zu meinen Sandalen. Ich bin schockiert.

Er zeigt mir, wo die nächste Toilette ist, bei Burger King an der Ecke, und hilft mir, die Hose von hinten zu säubern, während ich das ausgezogene Hemd im Waschbecken reinige. Das finde ich ausgesprochen freundlich und bedanke mich vielmals. Mit nassem Hemd geht’s weiter durch die schönen Altstadtgassen. Erst etwas unangenehm, aber es kühlt den Körper schön runter.

An einem kleinen Platz mache ich Pause, probiere Tapas und trinke einen Schluck. Als ich zum Bezahlen das Portemonnaie aus meiner Hosentasche nehme, kommt der Schock. Etwa 300 Euro in Scheinen sind futsch! Die Girokarte fehlt auch, Visacard und Personalausweis sind aber zum Glück noch drin.

Es dauert lange, bis ich kapiere, was mir passiert ist. Ich bin schockiert, dass ich nicht gemerkt habe, wie jemand mein Portemonnaie aus der vorderen Hosentasche zieht und später wieder hineinschiebt. Was für eine perfide Hilfeleistung! So schnell von Wolke 7 am Boden der Tatsachen war ich noch selten.

Eine paar Stunden später verraucht die Wut auf diesen perversen Gauner mit seinem Flüssige -Feigen-Trick und auf meine Gutgläubigkeit langsam. Soll ich mir deshalb Andalusien madig machen lassen? Kommt gar nicht in Frage! Ich denke an die Iren, die bei Unglück immer sagen: It could have been worse. Und in der Tat, ich hätte auch Ausweis und Handy verlieren können. Ich hätte in einer kleinen dunklen Seitengasse abgestochen werden können. Ich betrachte das verlorene Geld als Lehrgeld, als unfreiwillige Spende und denke: Da hast du noch einmal Glück gehabt!

© Erdmann Kühn 2022-09-02

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