Granitpilgern

Annika Höller

von Annika Höller

Story

Der nächste Herbstmorgen bricht an und die Tasse Tee vor mir dampft. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass meine Wanderschuhe in der Ecke rasten dürfen. Und ich denke zurück an diese letzten so unglaublich schönen Stunden. Voller Dankbarkeit.

In den letzten Tagen habe ich mich von der Natur einhüllen lassen. Von ihr besänftigen lassen. Von ihr erden lassen. Und von ihr leiten lassen. Sie ist mein Kompass gewesen. Neben einer kleinen Karte, die den Weg markiert hat. Ich bin Granitpilgern gewesen. Alleine. Vier Tage. 97 Kilometer durch den Bezirk. Mit viel Raum zum Denken. Und viel Raum zum einfach nur Sein. Wie schön ist es doch gewesen, einmal nichts anderes tun zu müssen, als nur zu gehen. Und irgendwann anzukommen. Ganz egal, wann. Beim nächsten Etappenziel. Beim nächsten Wirt mit Gästezimmer. Und vor allem bei mir selbst.

Ich erinnere mich an meinen Aufbruch. Der Himmel leuchtete in einem verwunschenen Violett, die Sonne ließ einzelne Felder aufblitzen und der Rucksack baumelte leicht auf meinen Schultern. Es war magisch. Der Beginn eines Abenteuers.

Ich erinnere mich an den zweiten Morgen. Dicker Nebel. Nur ein paar Bäume konnte man in der Ferne erahnen. Mein liebstes Wetter. Kurze Zeit später dann plötzlich eine Symphonie aus Dunst und orangefarbenem Licht, das sich durch die Schwaden kämpfte und sich langsam auf die Hügel des Mühlviertels legte. Ein unvergesslicher Moment, den ich erleben durfte. Und von dessen Zauber jene Fotos zeugen, die ich damals schoss.

Ich erinnere mich an den dritten Morgen. Diesig. Mit ein paar Regentropfen. Und einem sonderbaren Qualm in meinem Kopf. Ich hatte zu Beginn ein paar Schwindelprobleme. Ich musste langsamer gehen. Mein Tempo drosseln. Einatmen. Ausatmen. Mich auf die Schritte und meinen Körper stärker fokussieren. Im echten Leben neige ich dazu, zu rasen. Von einer Sache zur nächsten. Ohne Pause. Und genau das drohte mich auch jetzt wieder einzuholen. Aber diesmal ließ ich das innerliche Rasen einfach an mir vorbeiziehen. Ich sah, wie es vor mir den Berg hochlief und im nächsten Wald verschwand, während ich noch immer gemächlich dahintrottete. Einen Schritt vor den anderen. Und endlich nicht mehr auf die Zeit achtete. Sondern nur noch auf das, was sich rings um mich herum manifestierte. Das Plätschern der Steinernen Mühl. Die Tropfen, die auf meiner Jacke landeten. Ein einzelnes, leuchtend-rotes Blatt auf einer grünen Wiese. Oder die Süße des Apfels, in den ich hineinbiss.

Ich erinnere mich an den vierten Morgen, an das letzte Schnüren der Wanderschuhe. An den Aufbruch kurz vor dem Ende. An diese locker-leichte Etappe, die schon nach Ich-habe-es-geschafft roch. Und dann schließlich an das Erreichen meines Autos auf jenem Parkplatz, auf dem ich es vier Tage zuvor abgestellt hatte. An den vollen Granitpilger-Pass mit allen Stempeln. An ein Gefühl, Grenzen durchbrochen zu haben. Ein Gefühl der Dankbarkeit. Für all das, was mir das Mühlviertel in den letzten Tagen gegeben hat.

© Annika Höller 2021-01-17