Granny

Anna Karapetyan

von Anna Karapetyan

Story

Wumms… Mit klopfenden Herzen erwachte ich aus meinem Halbschlaf und setzte mich kerzengerade auf dem Sofa auf. Ich fasste mir an den Hinterkopf, denn ich war mir sicher, dass ich dort soeben einen leichten Schlag gespürt hatte. Dies war jedoch unmöglich, denn ich lebte alleine. Hatte ich mir das eingebildet? Oder vielleicht geträumt? Beides fraglich, da ich nicht tief und fest geschlafen hatte. Der Schlag fühlte sich viel zu real an. Ich nahm mein Handy zur Hand, 02:30 Uhr. Panik ergriff mich. Irgendetwas hatte mir einen Schlag verpasst, da war ich mir sicher.

Als ich in diese Wohnung eingezogen war, eine Einzimmerwohnung in der Nähe meines Arbeitsplatzes, klebten Reste von Polizeiabsperrungsaufklebern, vergleichbar mit einem Tatort, an der Eingangstür. Weder meine Mutter, die mir beim Einzug geholfen hatte, noch ich dachten uns groß was dabei. Auch der Vermieter erwähnte die Vorgeschichte dieser Wohnung nicht. Ich, damals mit meinen jungen 22 Jahren, freute mich auf ein neues Kapitel in meinem Leben und schenkte dem ganzen zuerst nicht besonders viel Beachtung. Doch irgendetwas war seltsam. Freunde, die mich besuchten, fühlten sich beobachtet und wenn ich alleine war, fühlte auch ich mich immer unwohl in meiner Haut. Eines Abends, als ich mich Bett bereit machen wollte, entdeckte ich ein schwarzes Quadrat in der Dusche. Der Rand war ordentlich, die Mitte war gefüllt mit getrockneter schwarzer Erde. So wie Malewitsch’s Gemälde „das schwarze Quadrat“ nur wesentlich unheimlicher. Mein Unwohlsein verstärkte sich von Tag zu Tag und wandelte sich um in Paranoia. Dieses Gefühl ging so weit, dass ich nachts meine Stehlampe anließ, um mich etwas sicherer zu fühlen. So wie heute.

„Was willst du von mir?!“, rief ich laut. „Ich habe dir nichts angetan.“

Ich schlug meine Decke zur Seite und lief zur Küchennische, um mir einen Tee zu kochen. „Beruhige dich“, sagte ich zu mir selbst. „Dir wird nichts passieren.“ Ich atmete tief ein und wieder aus, mein Herz raste. Am liebsten wäre ich aus der Wohnung gerannt. Doch wo sollte ich hin mitten in der Nacht?

„Lass mich in Ruhe, Granny“, rief ich in den Raum hinein.

Ja, Granny machte mir das Leben schwer. Granny, die ich liebevoll so taufte, weil ich ihren richtigen Namen nicht kannte, war eine ältere Dame, die alleine in meiner Wohnung gelebt und letzten Endes auch dort verstorben war. Sie war eine einsame Frau, ihr Sohn wollte nichts mit ihr zutun haben und dadurch blieb ihr Leichnam wochenlang unbemerkt. Auch die Beerdigung schien nicht reibungslos verlaufen zu sein. Sie war eine Seele, die keine Ruhe gefunden hatte und für sie war ich ein Eindringling in ihren vier Wänden. Das hatte dieser Schlag endgültig bewiesen. Ich musste schleunigst etwas tun, um diese Situation zu verändern und das ging nur mithilfe von Weihwasser…

© Anna Karapetyan 2021-04-18

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