GRAULICHT

Marie-Theres Scheibe

von Marie-Theres Scheibe

Story

Die toten Augen glotzen ihn an, wenn er sie über die Theke reicht, eingewickelt in glattes Papier. Nie deckt er die Fische ganz zu, weil er findet, dass die, die sie kaufen, schauen sollen, zu welchem Preis. Man hat sie aus dem Meer genommen, aus einem Frieden, der ihm tiefer fehlt, wann immer die Kunden ihn falsch anreden.

Auch er hat einmal andere Träume gehabt für sich als an der Fischbude im Hafen stehen. Sie sind weit weg, inzwischen, driften weiter noch in der Strömung davon, die sagt: Schlafen. Arbeiten. Geld verdienen. Sie lagert Steine wie Treibgut unter seinen Augen ab, Sedimente, die kein freier Tag mehr fortspülen kann. In ihm sammeln sich die Muschelschalen, spitz und bloß noch Schrot, mit der Ahnung, dass sie einmal Hoffnung enthalten haben. Was ihn bindet, sind Algen, sind Strandgut und Seeglas.

Es kommt vor, dass die Wogen heftig gegen ihn branden, die Flut und genauso das Schweigen der Ebbe. Im einen möchte er jemanden zum Reden haben, der ihn verstehen kann, und gemeinsam am selben Ufer auf eine bessere Zeit für sich warten. Im nächsten will er mit den kreischenden Möwen ziehen, ins Watt, und im Boden verschwinden.

Ja, ihre Totaugen, sie mustern ihn, bringen es wieder an: Wo bist du jetzt denn schon gewesen und wo willst du noch hin?

In seinem Körper schlagen zur Antwort Frust und Vorfreude ihre Bahnen, sind ebenfalls Gezeiten, die einander weichen, weil sie so bemüht sind um denselben Platz.

Der Tag ist heute grau verhangen, schickt selten Licht durch Regendeiche hindurch. Die Auslage schon schmierig, die Fischschuppen matt und weiter ist er leer, der Platz, zu jeder Seite. Von der Hauptsaison kennt er den Tumult, das Rauschen vergnügter Stimmen und den Geruch von Sonnencreme. Mit ihm kehrt der Neid noch schärfer ein, mischt Scherben unter die Sammelsachen. Warum sind sie Frau oder Mann, stehen im richtigen Licht? Passen in die Hochglanzmagazine, ins Schema F und schließen ihn in Schwärmen aus?

Gegen den Strom, wiederholt er sich, gegen den Strom muss er, nur immer voran, dann wird er glücklich sein. Gegen den Fluss, auch unter grauem Schleier, irgendwohin, wo sie wie er neben den Schubladen treiben.

Es weckt ihn ein Gruß vom düsteren Grund, stört ihn zuerst. Ärgerlich wüten seine Hände, gleiten von gleichgültigen Kadavern ab: Fische, die den Himmel sehen. »Macht vierzehn Euro das Stück, ich danke Ihnen«, ist es schnell abgespult, die Kasse geschlossen. Versäumt er das Freundliche und entdeckt es nachher spät.

»Vielen Dank von mir, der Herr«, ist es so einfach gesagt und jedes Auge in der Auslage mit einem Mal groß. Er streckt die Schultern zurück, hält das Lächeln kaum aus und nickt, weil er selbst nicht mehr reden kann. Es will ihm dankbar hinaus, sprudelt in der Brust und doch bleibt es drinnen, schließt er es kostbar ein.

Das kleine Schild am Kragen hat plötzlich keine Bedeutung mehr: Es bedient Sie Paula Bremer, steht da geschrieben.

Was er lesen will, ist Fabian.

© Marie-Theres Scheibe 2022-08-29

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