von Perleberg
Heute geht es mit dem Dolmus zum Manavgat-Wasserfall. Man winkt an der Hauptstraße einem Kleinbus nach Manavgat, steigt im Zentrum um und kommt direkt am Eingang Wasserfall an. Jeder Dolmus ist ausgeschildert und im Zweifel nennt man dem Fahrer sein Ziel. Das klappt immer. Der Wasserfall ist die Bezeichnung nicht Wert. Er gleicht einem Fels-Vorsprung und ist künstlich angelegt. Natürlich tobt das Wasser, schlägt Wellen und sprudelt. Das Türkis des Wassers ist auch schön. Ich aber bin enttäuscht. Das Gelände gleicht einem riesigen Bazar und stets muss man sich Angeboten erwehren. Ich spaziere am Fluss entlang und kehre auf einen Kaffee bei Mustafa-Kaffee-Lounge ein. Wir kommen ins Gespräch – man kommt hier immer ins Gespräch – und Mustafa spricht von 5000 bis 6000 Besuchern/Tag. Als ich meine Enttäuschung über das Verkaufsspektakel äußere, zeigt er mir Fotos vom Green Canyon. Er bietet sich als Reiseführer an. Ich bin alarmiert und frage nach Frau und Kindern. Er zeigt mir Fotos von seiner kleinen Familie. Ich fasse Vertrauen. Wir verhandeln den Preis von 300 TL, steigen in Mustafas Auto und ab geht es in die Manavgat-Berge. Atemberaubende Ausblicke erwarten mich. Was ich heute erleben darf, sind der Manavgat Dam-Stausee, wunderbare Fotostopps mit Ausblicken auf den Green Canyon. Es sind Orte zum Verweilen, Staunen, Fühlen. Nur Mustafa nervt. Er treibt mich ständig an. Dabei hätte ich alles gern länger auf mich wirken lassen. Das ist wieder einmal echt türkisch, denke ich. Sie können Stunde um Stunde sitzend ausharren, bei Aktivitäten aber entsteht eine Art unangenehme Hektik. So hetzen wir von einem Aussichtspunkt zum nächsten. Dazwischen fährt er wie eine Wildsau. Erst als er bemerkt, dass ich weiß im Gesicht bin, besinnt er sich. Einige Stopps sind einsam gelegen. Dort sucht er nach meiner Hand und pflückt Blumen für mich. Einmal greift er von hinten um meine Taille, angeblich, um mich zu stützen, säuselt „Schöne Frau“, „Schöne Frau“. Er testet aus, was geht. Irgendwann versteht er. Das Auto schraubt sich von Ausblick zu Ausblick den Berg hinauf. Wir treffen auf ein Paar. Er Türke, Sie Russin, oder Aserbaidschanerin. Mustafa kommentiert die Anwesenheit der beiden mit „Sie sind für Sex hier.“ Dabei nickt er geheimnisvoll. Ich will höflich sein und kehre um. Mustafa dagegen begrüßt den Mann und plaudert munter darauf los, als ob er ihn ewig kennen würde. So macht er es mit jedem, der uns auf diesem Weg zum Gipfel begegnet. Die Autos stoppen und man unterhält sich durch die Fensteröffnungen hindurch. Der universellen Grußformel Salam aleikum folgt stets ein lauter und wortreicher Austausch. Keine Spur mehr von Hetze. Wie durch ein Wunder sind wir auch nicht mehr in Eile. Mustafa ist in seiner Heimat und wir fahren zu seinen Großeltern, wie sich später herausstellen sollte. Die endlos scheinende Serpentine windet sich auf immer schmaleren Straßen. Am Ende ist sie gänzlich neu betoniert. Ich vermute, dass sie vor nicht allzu langer Zeit unbefestigt war. Mustafa befindet sich jetzt in heimischen Gefilden. Wir mussten bald da sein. Jeder kannte ihn und ist irgendein Verwandter. Ob es das Auto ist, das stoppt und man sich durch die Fensteröffnungen unterhält, oder das Ehepaar mit dem Enkel, das vor der Bergdurchfahrt zum Canyon eine Gesichtswäsche vornimmt. Jeden stellt er mir als Onkel vor. Mit jedem redet er. Wir kommen nicht voran. Es sind zu viele Onkel unterwegs an diesem Tag.
© Perleberg 2025-02-10