von Jörg Krämer
Gregs Lieblingsmannschaft hatte gerade im Zweitligakellerduell gewonnen. Zur Feier des Tages hatte er einige Bierchen gezischt und fühlte sich angenehm beschwipst. Ein paar Jungs neben ihm tuschelten über ihn. Greg zuckte die Schultern und stieg in die Bahn. Der saure Geruch von Schweiß, vermischt mit einer penetranten, Biernote stieg ihm in die Nase. Der Zug rollte an. Langsam schob Greg sich in die Erste Klasse. „Hallo“, rief er und drückte sich in die hinterste Ecke. Die Passagiere nahm er nicht wahr. Fünf mürrische Rocker starrten ihn verdutzt an. „Ist der lebensmüde?“, fragte der mit den Gesichtstattoos seinen Nachbarn mit der mehrfach gebrochenen Nase. „Erst legen die unsere Maschinen still und jetzt stolpert hier noch so’n Irrer rein. Scheiß Tag.“ „Lass gut sein, Boss. Für heute hatten wir schon Ärger genug.“ Greg hatte inzwischen realisiert, mit wem er da zusammen saß. Stören tat es ihn nicht. Munter begann er über Fußball zu philosophieren. Die Kerle verdrehten die Augen. Keiner antwortete. Doch Greg kam mit jedem ins Gespräch. So wusste er bereits nach wenigen Minuten die Namen seiner Reisegesellschaft: Hacho war der Boss, Tom sein Stellvertreter, Mücke war der Hühne, Sillo der Schlafende und Tim der Kleine. „Was ist denn mit eurem Kumpel Mücke?“, fragte Greg „der guckt ja als wollte er gleich aus dem Zug springen.“ „Seine Alte hat Schluss gemacht. Meint er is’n unromantisches Arschloch. Jetzt schiebt er ne Depri und vermiest allen die Stimmung.“ „Vielleicht kann ich ihm helfen!“ „Ne, is zwecklos. Ham we schon versucht. Greg drückte sich wieder in seine Ecke und kritzelte etwas auf einen zerknitterten Notizblock. „Hier, schreib das deiner Freundin.“ Greg drückte Mücke seinen Notizblock in die Hand. Der schaute Greg zweifelnd an, blickte kurz auf den Block und tippte wild auf seinem Smartphone. „Das machste doch nich wirklich?“, meinte Hacho. „Halts Maul, Boss! Schlimmer kanns eh nich werden.“ Dann war es wieder ruhig. Das Rattern der Bahn dominierte die Szene. Niemand redete. „Fahrkarten, bitte!“ Alle zuckten zusammen, als der Kontrolleur in die Stille platzte. Hacho sprang auf und baute sich vor dem Kontrolleur auf. Doch Tom ging dazwischen und drückte dem Bahnangestellten fünf Fahrkarten in die Hand. „Wir wollten doch heute keinen Ärger mehr, Boss.“ „Alles in Ordnung.“, meinte der Kontrolleur und gab die Karten zurück. „Ihre auch, bitte.“ Sagte er zu Greg. Der wurde kreidebleich und fing an fahrig in seinen Taschen zu wühlen. Dann begann er zu stottern: „Ich … ich … ich weiß nicht … eigentlich müsste sie …“ Der Kontrolleur zückte bereits seinen Block. Zur selben Zeit las Mücke eine Nachricht auf seinem Handy. Der Kontrolleur versuchte nun sein Selbstvertrauen durch Härte bei Greg wieder aufzubauen. „Er gehört zu uns, und du hast keine Fragen mehr.“, flüsterte es da direkt in seinem Ohr. Mückes warmer Atem streifte über den Nacken des Kontrolleurs. „Komm nich auf die Idee Stress zu machen.“ Der Kontrolleur drehte sich langsam um, schaute hoch in Mückes Gesicht und verließ wortlos das Abteil. Dabei zog er einen leichten Uringeruch nach sich. „Wir wollten doch keinen Stress machen.“, meinte Hacho. Doch Mücke ignorierte ihn und ging zu dem verdatterten Greg. „Danke, Alter.“ Dabei nahm er Greg in eine herzhafte Umarmung, die ihn vom Boden abhob und fast die Rippen brach. „Emma will sich mit mir versöhnen.“ „Gern geschehen.“ Keuchte Greg, „und auch danke.“ Noch nie im Leben war er schwarzgefahren.
© Jörg Krämer 2023-12-22