Grenzgängerin auf mehreren Ebenen

Hanna Roth

von Hanna Roth

Story

Sarina war eine meiner engsten Vertrauenspersonen über Jahre hinweg und meine erste Freundin in der Universität. Auch wenn sie nach unserem gemeinsamen Abschluss zuerst nach Lissabon, dann nach Warschau weiterzog, treffen wir uns doch immer wieder in Salzburg und tauschen uns gerne aus. Sie tanzt mit Vorliebe vor dem Spiegel, will für jeden auf unserer Welt nur das Beste und hat in mehr Ländern auf der Erde Arbeitserfahrung gesammelt, als dies andere von sich behaupten können. Schon als Jugendliche hat sie bei McDonald’s auf Französisch bestellt. Sie lebt auf deutschem Staatsgebiet, sieht Österreich aber genauso als ihr Zuhause an, auch wenn die Brezen bei uns lange nicht so gut sind. Als regelmäßige Grenzgängerin seit Kindertagen fühlt sich Sarina sehr verbunden mit Österreich, Salzburg ist für sie Heimat. Als ihren Lieblingsort in dieser Gegend nennt sie mir den österreichischen Gaisberg. „Ich bin halt trotzdem als Deutsche aufgewachsen, aber Österreich war mir nie fremd“, sagt sie. Groß geworden ist Sarina in einem sehr kleinen Dorf in Bayern, das ein idyllisches Paradies darstellte. In ihrer Schulzeit glättete sie ihre welligen Haare jeden Tag, mittlerweile kennt man Sarina fast nur noch mit Locken. Sie liebt Entscheidungen nicht, weshalb sie mir auch nicht klar sagen möchte, wie viele Sprachen sie zusätzlich zu den sechs, die sie bereits spricht, und den zwei, an denen sie gerade arbeitet, noch lernen will. Es gibt keine Sprache der Welt, an der sie nicht interessiert wäre: „Ich bin in jeder Sprache dieselbe Person, aber verschiedene Persönlichkeitsaspekte treten anders in den Vordergrund“, sagt sie mir. Sarina erklärt, dass Sprachen ihr das Gefühl geben, dass sie Menschen auf einer anderen Ebene kennenlernen und treffen kann. Ein Nachteil: manchmal fallen ihr Witze in der falschen Sprache ein. Sarina möchte anderen die Chance geben, sie selbst zu sein, egal, wer sie sind und versucht, Oberflächlichkeit aus ihrem Denken zu entfernen. Jeder Mensch habe eine Geschichte, die man nicht kennt und auch mit Problemen zu kämpfen, von denen wir keine Ahnung haben, erklärt Sarina. Auch Kleinigkeiten können das Leben von anderen zum Positiven verändern. Als Beispiel erzählt sie mir, dass sie in einem falschen Bus in Kolumbien ganz verloren und allein saß, ohne Bleibe am Ankunftsort. Sie wusste nicht, wo sie hin sollte, alleine und bei Nacht, als der Busfahrer sie dazu aufrief, ihre Sachen in die Hand zu nehmen. Er hatte mit einem Arbeitskollegen gesprochen, der in der entgegengesetzten Richtung auf dem Weg zu ihrem Ziel war. Kurzerhand hielt der Busfahrer an, begleitete sie über die Autobahn und wartete, bis der andere Bus sie erreichte. Noch bevor sie sich bedanken konnte, machte er sich wieder auf den Weg zu dem Bus voller Passagiere, der auf der anderen Seite der Straße wartete. Deshalb gibt sie allen mit: Seid lieb zueinander. Die Geschichte über den Busfahrer war mir neu, und es faszinierte mich, dass ich, an einer anderen Stelle der Welt, ungefähr zum selben Zeitraum, aber bevor wir beide uns kannten, etwas Ähnliches erlebt hatte. Während meines Au-Pair Jahres hatte ich einen Bus verpasst und musste allein auf einem fremden Bahnhof zurechtkommen, bis mitten in der Nacht der nächste Bus abfuhr. Viele fremde Menschen waren bereit, mir zu helfen, ich war nicht allein. Seitdem trage ich ein Motto im Herzen: Sei nett, um der Nettigkeit willen.

© Hanna Roth 2024-03-10

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