Gretas Stirn

Laura Schäffner

von Laura Schäffner

Story

Das Gefühl hat ihre Beine nun fast komplett verlassen. Das hat zwar den Vorteil, dass sie den Schmerz, der sich darin ausgebreitet hat, auch weniger wahrnimmt, lässt sie aber daran zweifeln, hier je wieder aufstehen zu können. Dass Sitzen so anstrengend, so unbequem sein kann, das hätte sie vor dieser Woche hier nie gedacht. Und es ist egal, wie vermeintlich gut sie sich zu Beginn jeder Meditation einrichtet, Kissen unter den Hintern, Beine nicht zu verknotet, Arme entspannt… nach zehn Minuten ist es eine Qual, sich nicht zu bewegen.

„Du musst es nicht gerne machen, du musst es nur machen“, sagt Alla, die die Meditation leitet. Greta ist kurz davor, sich einer Bewegung hinter ihr anzuschließen, die sich so anhört, als würden ein paar Leute aufgeben und den Raum verlassen. Aber ihre Beine reagieren nicht auf den Befehl, der aus ihrem Gehirn kommt, also bleibt sie sitzen.

Am Ende der Meditation zählt Alla noch einmal alle Farben der unterschiedlichen Chakren auf. Alle dürfen sich dabei hinlegen und alleine das fühlt sich so gut an, dass Greta sich darauf einlässt, jeder Farbe zuzuhören, auch wenn sie sich ein bisschen bescheuert vorkommt.

“Die rote Wurzel, das orange Kreuzbein, der gelbe Nabel, das grüne Herz, der türkise Hals, die blaue Strin, der violette Scheitel.” Natürlich zählt Alla es langsam auf, viel langsamer, so langsam, dass Greta manchmal nicht sicher bin, ob sie noch da ist. Mehrere Male ist sie versucht, sich aufzusetzen, um zu checken, dass sie nicht eingeschlafen ist und mittlerweile alleine in diesem Raum liegt und vergeblich auf die nächste Farbe wartet.

Alla ist fertig. Wieder scheint die Pause bis zu ihren nächsten Worten ewig zu dauern. „Schließt eure Augen“, sagt sie. „Welche Farbe könnt ihr sehen?“

Greta schließt die Augen, in der Erwartung, dass nichts passiert. Und dann ist mit einem Mal alles grün. Ist sie im Herzen angekommen? Hat sie die Schlange tatsächlich geweckt und sie ist aufgestiegen? Vor lauter Aufregung öffnet sie die Augen. Das Grün verschwindet sofort.

„Namaste“, beendet Alla die Stunde und Greta stolpert aus dem Raum.

© Laura Schäffner 2022-04-12

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