von Anatolie
In meinem ersten griechischen Auslandsjahr wohnte ich in Heraklion gegenüber einer Kirche. Ihr lautes Geläut hat mich mehrmals ziemlich unsanft aus dem Schlaf gerissen. Von Karfreitag bis zum erlösenden Freudenfest am Ostersonntag um Punkt Mitternacht schlug durchgehend im Minutentakt ein Glöckchen an. Es erzeugte etwas Bedrückendes und begleitete wohl die Todesstunden Jesu.
Ostern fällt dort meist um eine Woche später aus, denn im Orthodoxen gilt noch der alte Julianische Kalender. Anders als hier wird dort noch richtig opulent gefeiert. Wer immer kann, verlässt die Stadt und fährt zu seinen ländlichen Verwandten. Ostersonntags wird im Garten oder auf der Terrasse gegrillt. Dazu versammeln sich dann alle Familienmitglieder, inklusive Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen. Von diesen freudigen Zusammenkünften zeugen viele kleine Rauchschwaden, die den Duft von Holzkohle und gegrilltem Lamm über das Land wehen.
Richtig live dabei war ich erst zu Ostern 2006 und 2007. Ich lebte seit vier Jahren in Athen und hatte einen Freund, Dimitris. Er war etwas jünger, wirkte aber reifer, denn er trug schon mit 30 einen ausgeprägten „Kranz“ (sprich Glatze). Unvergesslich waren unsere Ostern. Dimitris‘ Eltern besaßen ein Ferienhäuschen auf Euböa, umgeben von Schafen und Olivenhainen. Sein Vater stammte aus dieser Gegend. Einer der Verwandten feierte am Ostermontag auch gleichzeitig seinen Namenstag. Die ganze Familie wurde zum Hoffest geladen, in irgendeine Einöde, wo es außer Büschen und Ziegen weit und breit nichts gab. Ich erinnere mich, wie wir am Weg dorthin im regennassen Schlamm steckenblieben. Der Cousin musste mit dem Traktor anrücken, um das verkeilte Auto aus dem Dreck zu ziehen. Es wurde trotzdem noch ein toller Nachmittag, mit viel Gelächter, Süßigkeiten und Bouzouki-Tanz.
Am eindrucksvollsten habe ich den nächtlichen Gang zur Auferstehungsmesse in Erinnerung. Von überall her strömten Menschen mit langgezogenen, teils sehr aufwändig verzierten Kerzen. „Christòs anésti!“, rief man einander zu, “alithòs anésti – er ist wahrhaft auferstanden!“, antworteten sie während die Glocken erklangen und das Licht von Jerusalem von Kerze zu Kerze weitergereicht wurde. Selbst ein nicht so gläubiger Mensch konnte sich dem Zauber nicht entziehen. Im Anschluss ging man glücklich heim, und dann zog sich ein flackerndes Lichtermeer die Hügelketten hinauf.
Es waren sehr bewegte zwei Jahre, ich habe Hochzeiten, eine Taufe und auch Begräbnisse miterlebt.
Am Ende kam ich aber zu dem Schluss, dass dieses Leben dann doch nicht ganz das richtige für mich war. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Meine Beziehung hat zwar nicht gehalten, aber ich bin Dimitris und seiner Familie sehr dankbar für das, was sie mir gegeben haben. Sie gewährten mir tiefe Einblicke in den griechischen Alltag mit seinen Traditionen. Das hat mir in vielerlei Hinsicht Augen und Herz geöffnet. Die Erinnerung und ein Lächeln werden bleiben.
© Anatolie 2023-04-03