von Sonja M. Winkler
Vergangene Woche besuchte ich Baden, u.a. um die NÖ-Card einzuweihen. Als ich durch die Ausstellung im Kaiserhaus ging, die dem 250. Geburtstag Beethovens gewidmet war, kamen alte Erinnerungen hoch.
Es ist Freitag, der 27. November 1992. Nichtsahnend, weil ich am Morgen offensichtlich keine Nachrichten gehört habe, betrete ich um 7.30 die HTL in Wien 1, Schellinggasse. Die Klasse ist völlig aus dem Häuschen. Alle stehen vor den Fenstern im obersten Stockwerk und starren auf die aufsteigenden Rauchschwaden. Soweit das Auge reicht, Dächer in Grau gehüllt. Brandgeruch. Das Radio meldet, in der Nacht habe sich von den Redoutensälen ein Feuer ausgebreitet. Kein Funkenregen mehr. Die Lipizzaner in Sicherheit gebracht. Buchbestand im Prunksaal der Nationalbibliothek gerettet.
Just in diesem Schuljahr absolvierte ich an der HTL im 1. Bezirk das Probejahr, schnell noch vor Vollendung meines 38. Lebensjahres. Hätte ich länger zugewartet, wäre mir die Lehramtsprüfung laut Gesetz aberkannt worden. Ich hatte bis dato nur an der Uni unterrichtet. Das war etwas völlig anderes als die reinen Burschenklassen in der HTL, die mich extrem forderten. Kurzum, ich war ihnen nicht gewachsen. Die 15-Jährigen hatten alle möglichen Tricks auf Lager, mich von meinen hehren Bildungsidealen, die sie schnell übernasert hatten, wegzulocken.
Kurz nach dem Brand in der Hofburg war es, the boys suggested watching an English-speaking movie. Ich hatte keinen blassen Schimmer vom aktuellen Kinoprogramm.
Frau Professor, do you know Beethoven? Natürlich. There’s a film called „Beethoven“. Why not, so let’s watch Beethoven. Wenn sie mir den deutschen Titel genannt hätten, dann hätte ich ihren Plan durchkreuzt. Als die Klasse meinen Gesichtsausdruck sah, als ich merkte, zu welchem Film sie mich überredet hatten, ging schallendes Gelächter los. “Ein Hund namens Beethoven”. Nie und nimmer hätte ich zugestimmt.
Beethoven war rastlos, sein Leben lang. Mit 30 bereits schwerhörig, suchte er Zuflucht in der Natur. Er machte ausgedehnte Spaziergänge, auf denen er die wunderbarsten Melodien entwarf. Zeitlebens von Geldsorgen geplagt, soll er gesagt haben: „Alle Noten bringen mich nicht aus den Nöthen.“
Man spekuliert über Liebschaften, aber geheiratet hatte er nie. Als sein Bruder Kaspar 1815 starb, suchte Beethoven um die Vormundschaft für seinen damals 9-jährigen Neffen Karl an. Der Rechtsstreit mit der Schwägerin, die eine Vorstrafe hatte, zog sich über Jahre. Der Vaterrolle nicht gewachsen, schwankte Beethoven zwischen Strenge und Nachgiebigkeit. Als Karl mit 20 einen Selbstmordversuch verübte, brach für Beethoven eine Welt zusammen. Ein Jahr später verstarb er an Leberzirrhose und Bleivergiftung.
Als ich nach Wien zurückfuhr, war ich froh, es mit meinem Skoda in einer knappen Dreiviertelstunde geschafft zu haben. Zu Beethovens Zeit hätte die Fahrt mit der Postkutsche von Baden nach Wien drei Stunden gedauert.
© Sonja M. Winkler 2020-06-22