von Hannah Becker
War er ein Gentleman oder einfach nur eingeschüchtert?
Im Nachhinein frage ich mich häufig, ob es zwei verschiedene Personen waren.
Mit Einem habe ich geschrieben, er war immer gerade heraus, hat gesagt was er (vermeidlich) denkt und hat eine starke Persönlichkeit durchscheinen lassen. Mit dem Anderen habe ich mich getroffen, er war aufmerksam und hat mich auf Händen getragen, ein wahrer Gentleman. Aber miteinander hatten die Beiden relativ wenig zu tun.
Was er geschrieben hat, hatte einen Unterton. Es war aufregend und spannend. Ohne zu explizit zu werden, ohne einen belästigenden Ton anzunehmen.
Was er bei unseren Treffen getan hat, war zahm. Nicht vorhanden. Der nette Typ von nebenan, der zwar gut erzogen ist, aber eigentlich lieber woanders wäre.
Vielleicht waren wir beide zu schüchtern, zu verunsichert. Vielleicht wollen Männer inzwischen, dass wir Frauen den ersten Schritt machen. Vielleicht waren meine Signale nicht eindeutig genug. Aber vielleicht war er auch nicht offen dafür.
Der Wink mit dem Zaunpfahl war auch eher ein erschlagen. Aber das scheint bei Männern irgendwie häufig der Fall zu sein. Muss ich wirklich schreiben: Lass uns zusammen den Film anschauen. Wenn doch eigentlich reichen sollte: Den Film wollte ich unbedingt sehen.
Wie auffällig soll ich meine Hand im Kino frei zwischen uns liegen lassen, damit du sie nimmst? Wie nah soll ich mich neben dich setzen, damit du merkst, dass du deinen Arm um mich legen kannst? Wie viel Blickkontakt soll ich mit dir aufbauen, um dir zu zeigen, dass ich dich küssen will?
Ich denke gerne an den Urinstinkt der Menschen, Männer sorgen gerne für ihre Frauen. Ich streue also Krümel aus und hoffe, dass sie gesammelt werden. Ich dachte immer, Männer fühlen sich wohler, wenn die Idee von ihm kommt, auch wenn ich genau weiß, dass ich den Gedanken dazu vorgegeben habe. Aber vielleicht zeigt das nur meine manipulative Art. Oder ich überdenke das alles viel zu sehr.
Nach ein paar schönen, aber ereignislosen Treffen und einer darauf folgenden Nachricht, die darauf aus war, zu erfahren welche Fantasien ich gerne mal in die Tat umsetzen würde, habe ich also meinen Sarkasmus zusammengekratzt und zurückgefragt, wie er auf die Idee kommt mich darüber auszufragen, wenn er nicht mal die Eier hat meine Hand zu halten.
Dies sollte die letzte Nachricht sein, die ich jemals mit ihm getauscht habe. Ich kann bis heute nicht exakt sagen, was das Problem an meiner vielleicht etwas provokanten Nachricht war.
Habe ich sein Ego zu sehr angegriffen? Oder hat er nicht verstanden, dass das eher eine Aufforderung war und keine Kritik?
© Hannah Becker 2024-09-03