von Hannes Steiner
Als kleines Kind haben mir alle immer gesagt, ich sei unter einem glücklichen Stern geboren. Jetzt bin ich 45 und heute weiß ich: sie hatten recht. Aber als kleiner Bub erkennst du das natürlich noch nicht.
Wie jeder andere Schüler auch freue ich mich aufs Wochenende. Aber anstatt auf dem Fußballplatz mit meinen Freunden zu bolzen sitze ich Samstag für Samstag bei meinem Großvater in der Küche. Während meine Oma kocht, erzählt er mir Geschichten aus seinem Leben, übers Leben generell. Ich muss jedes Mal lächeln, wenn er plötzlich eine Kunstpause macht beim Sprechen, sich mit der rechten Hand über seinen dicken Bauch streicht und dabei die Augenbrauen hebt.
Mein Opa war Maler und Anstreicher, und noch heute liebe ich den Geruch von frischer Malerfarbe und Terpentin. Er liebte gutes Essen, das war ihm mit Abstand das Wichtigste, verehrte die Oper, besonders Verdi und Pavarotti, und er mochte Frauen, am liebsten alle. Geboren in gutem Hause, eins von neun Kindern, aber völlig anders als seine Geschwister. Seine Währung sind nicht Häuser, Firmen und Bankkonten, seine Währung sind Lebensfreude, Herzenswärme und Aufmerksamkeit. Geld ist für ihn nur Mittel zum Zweck, anderen zu helfen. Reich im klassischen Sinn war er also nicht, aber er war reich an Erlebnissen. Mein Großvater war für mich ein Superstar, denn er hatte immer die besten Geschichten auf Lager.
Ich erinnere mich wie heute an unsere gemeinsamen Samstage. Die lustigen, wie wir in seinem weißen, verbeulten VW-Käfer um die Kurven rumpeln. Die andächtigen, als er mir in seinem Musikzimmer die Liebe zur Klassik näher bringt. Aber auch die stillen, wenn er von seinem Bruder erzählt, der im Krieg geblieben ist. Der Samstag bei Opa war fix, wir haben gemeinsam gelacht, gestaunt und vor Freude geweint. Ich würde diese glücklichen Tage gerne nochmal erleben, sie fehlen mir.
Ich studiere noch, da stirbt mein Großvater. Es war keine Überraschung, eigentlich war es sogar ein Segen nach der Krankheit, und trotzdem tat es unheimlich weh. Ich spüre diesen Schmerz heute noch. Als er starb, ist die Kerze in meinem Zimmer in Innsbruck, die ich für ihn entzündet hatte, erloschen, sie hat einfach aufgehört zu brennen. Das glaubt mir zwar niemand, aber was solls, es war so. Bei seinem Begräbnis weinen neben meiner Oma auch viele andere Frauen bittere Tränen und werfen zum Abschied rote Rosen ins Grab. Ich bin sicher, er hat das vom Himmel aus gesehen, und sicher hat er dabei charmant gelächelt, mein Opa, der Schelm.
Die Erinnerung an ihn gibt mir sehr viel Halt, seine Geschichten leben in mir weiter. Und ich spüre, dass er seine unbedingte Liebe zum Leben auf mich überträgt, Stück für Stück. Ich bin bei weitem noch nicht auf seinem Level, aber ich hab ja auch noch etwas Zeit. Ich weiß, er führt mich von dort oben und er weist mir den Weg.
Du bist unter einem glücklichen Stern geboren, höre ich. Ja. Er heißt Anton und ist mein Großvater.
© Hannes Steiner 2019-04-12