Großwarasdorf – Chicago – Wien

SusiBock

von SusiBock

Story

Es gibt Tage, an denen mir gute Gedanken und Ideen in den Sinn kommen. Und wenn ich sie nicht sofort festhalte, sind sie wieder weg. Das ist schade, denn ich habe oft ganz gute Gedanken und Ideen. Sie sind nicht immer unwiederbringlich, manchmal kommen sie auch wieder. Manchmal auch nicht.

Manchmal frage ich mich: Ist es, weil ich zu viel denke, mir zu viele Sorgen mache, mein Hirn mit so viel Kleinkram fülle, dass keine großen Gedanken mehr Platz haben? Oder ist es, weil ich zu viel trinke … jedenfalls mehr als uns Frauen von medizinischer Seite her zugestanden wird. Ein Achterl in Ehren kann schließlich niemand verwehren. Und aller guten Dinge sind drei, das weiß doch jeder.

Zumindest den letzten Punkt kann ich erklären, denn ich bin in einer Wirtsfamilie mit eigenem Gasthaus am Landstraßer Gürtel groß geworden. Die Geschichte, wie es dazu kam, ist nicht einzigartig, aber erzählenswert.

Mein Urgroßvater wanderte Anfang des 20. Jahrhunderts wie so viele Burgenländer nach Amerika aus und nahm zuerst nur seine Frau mit. Meine Großmutter wurde 1916 in Chicago geboren. Irgendwann kehrte mein Urgroßvater nach Österreich zurück, um die restliche Familie zu holen. Seine Reise endete aber unweit des alten Wiener Südbahnhofs, als er sich mit dem für die Reise ersparten Geld ein Wirtshaus kaufte. Und so kam die Maresch-Omi mit vier Jahren nach Wien.

Sie übernahm das Wirtshaus in den Wirren des Zweiten Weltkriegs von ihrem Vater, als Witwe eines jung verstorbenen Mannes, mit drei kleinen Kindern. Sie meisterte das alles bravourös, die Kinder lernten alle einen Beruf, meine Mutter und meine Tante blieben aber immer Teil des Familienbetriebs. Die Rollenaufteilung war eine klassische: Oma, Mama und Tante kochten, der Onkel machte die Schank, mein Papa war Gast und spielte Karten. Alkohol war in dieser Umgebung etwas ganz Normales und so habe ich auch keine Scheu davor entwickelt.

Wenn mein Papa, der bei der ÖBB gearbeitet hat, nicht zu Hause war, um für mich nach der Schule zu kochen oder mit mir zu lernen, fuhr ich mit dem 18er ein paar Stationen ins Gasthaus. Meine Oma hatte eine große Wohnung gleich oberhalb des Gasthauses und daneben lag das Paradies, die Vorratskammer. Alles, was man so brauchte fürs Kochen, in riesigen Gebinden, kistenweise Getränke. Mit großer Freude half ich in der Küche, schälte Erdäpfel oder faschierte Fleisch. Da fühlte ich mich so erwachsen.

Das Allerschönste war Weihnachten: Das Gasthaus sperrte um 14 Uhr zu, die Großfamilie aß und trank gemeinsam und um 17 Uhr klingelte es endlich oben … Bescherung bei der Maresch-Omi! Satt, trunken und glücklich ging dann jede Familie später zur zweiten Bescherung nach Hause.

Ich vermisse unser Gasthaus, das wir seit 1991 nicht mehr besitzen, die Maresch-Omi und alle anderen Verstorbenen der Familie, vor allem meinen Vater, der im März 2020 von uns ging.

Aber sie alle leben weiter in meiner Erinnerung und in dieser Geschichte.

© SusiBock 2020-11-15

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