GrĂŒezi wohl

Collin Nichol

von Collin Nichol

Story

Es war Mittwoch, der 1. September. Ich lag noch im Bett, ich hatte gleich in der FrĂŒh einen Arzttermin vereinbart und ging deshalb spĂ€ter zur Arbeit. Ich vertrieb mir die Wartezeit und war wieder einmal in einem Chatroom unterwegs. Dort traf ich auf M. Das GesprĂ€ch mit ihm verlief sehr anonym, wie das halt am Anfang so ist. Ich erfuhr aber, dass er aus der Schweiz kam. Irgendwie hatten wir einen guten Draht zueinander und beschlossen auf Snapchat weiterzuschreiben. Wir snapten sehr viel miteinander, quasi rund um die Uhr, schickten uns Bilder und telefonierten am selben Abend bereits. Ich mochte es, wenn er SchwiizerdĂŒtsch sprach. Ich verstand zwar nicht alles, aber er war so sĂŒĂŸ dabei und es war absolut authentisch. Sehr schnell hatte ich einiges ĂŒber M. erfahren: Er war bereits in der Schweiz geboren und wie ein richtiger Schweizer, liebte er KĂ€se ĂŒber alles. Er hatte noch eine Schwester, die Eltern waren ursprĂŒnglich aus dem Osten. Sehr religiös und konservativ. So wie meine Familie. Vielleicht verstanden wir uns deshalb so gut. Eigentlich warteten seine Eltern nur mehr darauf, dass er eine Frau aus ihrem Heimatland heiraten und eine Familie grĂŒnden wĂŒrde. Er hatte wahnsinnige Angst sich zu outen, denn er befĂŒrchtete, von seiner Familie verstoßen zu werden. Gedanken, die ich absolut nachvollziehen konnte.

Es war Freitag, wir kannten uns also seit drei Tagen, und wir snapten wieder. M. war an diesem Abend etwas komisch. Das fiel mir sofort auf. Ich fragte nach, was denn los sei. War es der Stress in der Arbeit (er war einer von vier Leitern einer großen Firma), Stress im Fußballverein oder etwas Anderes? Er druckste ewig herum und dann wie aus dem Nichts schrieb er dann aber doch was los war: „Collin, ich weiß, dass es idiotisch ist. Ich kenne dich erst seit drei Tagen. Aber ich muss es dir sagen. ICH LIEBE DICH!“

Ich guckte wie doof auf mein Handy. Stand das da gerade echt? Der verarscht mich doch. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Das war mir bisher noch nie passiert. Er argumentierte seine Aussage aber so, dass ich ihm glaubte.
Am nĂ€chsten Tag war ich mit Freunden unterwegs und musste die ganze Zeit darĂŒber nachdenken, was da gestern Abend passiert war. So kam ich ins GrĂŒbeln und dachte mir, wenn mir jetzt etwas passieren wĂŒrde, könnte ich M. nie sagen, was ich fĂŒr ihn empfinde. Ist das Liebe? FĂŒr mich war es das in diesem Moment zumindest. So nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und als wir am Abend wieder telefonierten, konnte ich auch M. sagen, dass ich ihn liebte.

Zwei Wochen spĂ€ter hatte ich mich auf den Weg in die Schweiz gemacht, um M. zu besuchen. Wir hatten Lunch und unterhielten uns prĂ€chtig. Jedoch gestand er mir, dass er seine HomosexualitĂ€t nie ausleben werden könne und sogar jetzt in diesem Moment Angst hatte, beobachtet zu werden und dass jemand seinen Eltern etwas sagen wĂŒrde. Nach dem Kaffee verabschiedeten wir uns. Unsere Herzen gebrochen, wir wussten, dass wir keine Zukunft miteinander hatten, obwohl wir uns sehr gerne mochten. Ich machte mich wieder auf den Heimweg und am 30. September beendeten wir unsere „Beziehung“ offiziell auch wieder.
Das war also meine erste „große“ (September-) Liebe.

© Collin Nichol 2023-08-05

Genres
Romane & ErzÀhlungen, Lebenshilfe
Stimmung
Emotional, Inspirierend, Reflektierend