grüntee und plexiglas

Jasmina Cavkunovic

von Jasmina Cavkunovic

Story

Ich bin alleine in der Wohnung, als ich den Wasserkocher auffülle. Der sichere Griff meiner rechten Hand, die den Henkel umfasst, festigt sich mit jedem Milliliter Wasser, welcher in die Kanne fließt und diese mit ihrem Gewicht nach unten zieht. Komplett leer ist sie auch vor meinem Auffüllen nicht gewesen, sodass ich, gemäß alter Gewohnheit, erst zu spät feststelle, dass ich gerade zu viel Wasser in die Kanne fülle und wohl wieder etwas übrig bleiben wird. Am Abend würde ich also mit Sicherheit erneut den Wasserkocher von seinem Sockel heben, das verbliebene Restwasser vom Morgen erneut nicht mitbedenken und somit erneut mehr Wasser in den Kessel füllen, als ich eigentlich für eine Tasse Tee benötige. Ob ich durch die Anerkennung des Bestehens dieses schier ewigen Kreises das Weiterlaufen dessen erst hervorrufe, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht bei Null beginne.

Als das Wasser schließlich aufkocht, zarte Dampfschwaden aus der Öffnung des Kessels flüchten und das abgehakte Klicken des umspringenden Schalters zu hören ist, fülle ich die bereits vorbereitete Tasse mit meinem Lieblings-Grüntee auf. Ich begebe mich zur Couch und drücke bei der Fernbedienung meines Fernsehers auf Play, das Standbild auf Kommando wieder in Bewegung setzend und die kurzlebige Stille im Raum durch Worte brechend. Das Fernsehbild zeigt drei Männer hinter Plexiglasscheiben, abgenommene grüne Masken auf ihren Podien und wiederum nicht abnehmbare erschöpfte Mienen, die sichtlich schwer auf ihren Gesichtern lasten. In der Politik hat man es in Zeiten wie diesen gewiss nicht leicht, flüstere ich vor mich hin und gleichsam als Bestätigung meines Gesagten spüre ich ein Brennen auf meiner Zunge, von dem ersten Schluck Tee, der wohl noch keine angemessene Trinktemperatur erreicht hat.

Kurz schwelge ich in der Empfindung des sanften Brennens in meinem Mund, der Intensität des Geschmacks des Heißgetränks; und während ich meine Augen schließe, atme ich tief durch, als söge ich mit meinem Atemzug nicht nur den Geruch des Grüntees, sondern auch den Augenblick selbst und alles, was diesen ausmacht, in mich hinein. Die Stellungnahme der Politiker läuft dabei leise im Hintergrund weiter, wie ein Insekt, das durch den Raum fliegt und sich lediglich durch die Laute, die es von sich gibt, bemerkbar macht. Doch während ich eine Fliege früher oder später dazu bewegen könnte, mein Wohnzimmer durch das offene Fenster zu verlassen, weiß ich genau, dass ein Ausschalten des Fernsehers oder ein Ausblenden der Politikerstimmen die momentane Situation nicht ändert.

Sechs Monate sind vergangen wie ein Zeitsprung nach einem langen, mühsamen Anlauf. In den Gesichtern der Menschen mischt sich Sorge mit Strenge, Angst mit Hoffnung, Verblendung mit harten Fakten. Wir leben in einer besonderen Zeit, haben sie gesagt, und sie würden recht behalten.

Ich trinke meinen Tee und schalte ab.

© Jasmina Cavkunovic 2020-09-17

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