Guckloch

Souhaila El Mayati

von Souhaila El Mayati

Story

Das Metall der Tür kühlte meine heiße Haut. Ich schaute einäugig in den Gang. Das Licht der alten Lampen strahlte in Tönen einer warmen Kerze. Sie blendete mich – ich hatte zu lange die Dunkelheit betrachtet. Ich sah verschwommen, als wäre ich unter Wasser. Nach und nach wurde das Bild klarer und die einzelnen Stücke fügten sich zu Einem zusammen. Augenblicklich wollte ich es wieder in seine Teile brechen. Auf dem Boden lag eine Frau mit weit ausgebreiteten Gliedmaßen und kurzem, strähnigem Haar. Uns trennte nur diese Tür, zwischen meinem Gewissen und der unmittelbaren Realität befand sich nur das Guckloch, aus dem ich leider bereits geschaut hatte. Ich konnte nicht aufhören hinzuschauen.

Jede Sekunde zog sich in eine Ewigkeit. Zwei Ewigkeiten. Drei Ewigkeiten. Ich war starr vor Schreck und Faszination. Aber in meinem Kopf blitzte es, in meinem Herzen donnerte es.

Mich heute an meine Gedanken dieser Nacht zu erinnern, ist wie eine Seifenblase zu fangen. Ich weiß, dass sie existiert, aber sobald ich meine Hand nach ihr ausstrecke und sie greifen will, platzt sie. Aber ich sehe noch ganz klar, was vor mir lag, als ich die Haustür öffnete. Mit zittrigen aber entschlossenen Händen. Dunkelheit verschluckte unerwartet den Raum vor mir. Ich schaltete das Licht an, meine Panik wuchs.

Die Frau war verschwunden.

Verwirrung ließ mich in meinen Bewegungen zögern. Ich konnte die Puzzlestücke vor meinen Augen nicht logisch zusammenfügen. Ich schritt hinaus in den Flur. Schaute die Treppen hoch und runter. Ich rief: „Hallo?“ Nichts. Das gesamte Haus schlief. Ich entschied, zu gehen.

Erdrückender Erschöpfung wurde Platz gemacht und mich fand endlich der lang ersehnte Schlaf. Mit letzter Kraft wollte ich mich zurück ins Bett schleifen, aber dafür reichte sie nicht. Ich schlief auf dem staubigen Flur ein, sobald mein Körper den Boden berührte.

Der Bürgerkrieg zwischen Körper und Geist pausierte. Wer größere Verluste erlitten hatte, konnte ich noch nicht ausmachen.

Ich wachte zum späten Mittagessen auf der Couch auf. Mein Kopf brummte. Der Traum, der gestern Nacht gewesen sein muss, verblasste allmählich. „Während du geschlafen hast, kam ein Anruf für dich rein. Du hast nächste Woche ein Vorstellungsgespräch“, sagte mein Mann am Esstisch. In den Nachrichten wurde weder von Vermissten noch von Todesfällen in der Umgebung gesprochen.

© Souhaila El Mayati 2022-07-22

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