von Daniela Neuwirth
Österreichisches Konsulat in Hamburg – wer hier einen Termin zur Passverlängerung braucht, kann sich gleich mal drei Monate vorher anstellen. Zum Glück ist es online in einen Terminkalender eintragbar und wenn sich aus privaten Gründen etwas verschiebt an der Planung, kann man diesen auch online wieder austragen, doch fängt man wieder von vorne an mit der Wartezeit. In nur seltenen Fällen kommt so etwas wie eine Pandemie dazwischen. Nun ist der Pass ihres Sohnes schon seit 2018 fällig, doch da es im letzten halben Jahr auch keine Möglichkeit zu verreisen gab, war die Tragik nur halb so dramatisch.
Vor der Abfahrt zum blauen Autozug, den es zum Glück seit ihrer Ankunft auf der Insel gibt und der das DB-Shuttle entlastet, ebenfalls im Stundentakt, hört sie einen Beitrag eines Virologen, in dem erwähnt wird, dass schon bei SARS vor einem Jahrzehnt von den Franzosen 90 Millionen Impf-Portionen angekauft wurden und von den Deutschen ebenfalls 60 Millionen, die aber nicht verwendet wurden, weil sich kaum einer impfen ließ und um wiederum eine Milliarde Euro vernichtet werden mussten.
„Na, so ein kleines Ding kurbelt ganz schön die Wirtschaft an“, stellt sie wieder einmal fest und ihr Sohn wehrt sich dagegen, die Hintergründe zu kennen, ebenso, wie in großen Jahresbeträgen zu denken – also, dass zum Beispiel einmal Pizza essen um 15 Euro kein Thema ist, aber täglich wird man zur Melkkuh des Gastronomen.
Sie rast zur knallgelben Tankstelle um die Ecke, füllt den Tank nur halb voll um Zeit zu sparen, denn in zwei Minuten fährt der Zug ab und wenn sie den nicht erreicht, schafft sie es von Niebüll bis Hamburg nicht mehr bis 9:20 Uhr zu den Toren des Konsulats in der Stadtmitte. „Hast du deine grüne Mappe mit?“
„Was? Nein – hast du nichts gesagt.“ Sie klemmt den Griff des Zapfschlauches wieder in die Tanksäule. „Und wo hast du dann deine Geburtsurkunde?“, ruft sie ihm zu, während sie der netten Dame mit den schwarzen Haaren, die sie immer schlampig hochgesteckt trägt, hinterm Pult entgegenläuft. „Die Fünf? Wie immer?“
Lilly nickt, hält rasch die Punktekarte selbst vor den Scan, legt die drei Zehner auf die Ablage. Innerlich lacht sie über das akute Sorgengesicht ihres Kindes. „Zum Glück hab ich alles dabei“, entlastet sie ihn, als sie den Wagen startet, zurücksetzt und eine Abkürzung nimmt. Es brennt der Hut. „Können wir noch mit?“ Die Dame im Hüttchen nickt. „Aber gegen die Fahrtrichtung.“ Lilly überhört dies, drückt das Gaspedal. Sie ist die Letzte, die auf den Zug kommt. Der startet. Ihr wird mulmig. „What? So sind wir auch noch nie gefahren. Und das jetzt 45 Minuten?“
Sie tippt die Route von Niebüll zum Konsulat ins Navi. „Wenn uns nicht ein Traktor auf der Landstraße aufhält, schaffen wir das rechtzeitig.“ Sie entspannt sich, kramt in der Tasche, fragt ihn nach den Passfotos, die er in den letzten Tagen beim Automaten machen sollte. „Hast du die wenigstens?“ „Nein, da war zu nachmittags.“ „Ja, dann… erklären wir das dort auch so.“ lacht sie.
© Daniela Neuwirth 2020-09-04