von Hannah Trapp
Das Wetter ist umwerfend. Ich bin unfassbar glücklich. Und ziemlich unsicher. Und ich glaube, ich bin wahnsinnig geworden. Ich bin mitten in einer fremden Stadt. Einem fremden Land. Mit einem völlig fremden Menschen. Man könnte wirklich sagen, ich wäre ziemlich verantwortungslos. Das wäre sicher nicht ganz unpassend. Das Golfcar fährt ziemlich schnell. Meine Haare fliegen im Wind und ich schwitzte endlich mal nicht. Um mich herum sind überall Menschen. Und so viel grün, wie ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen habe. Soviel grün, wie hier, gibt es nirgendwo sonst in Rom. Er erklärt mir alles Mögliche. Er scheint wirklich alles zu wissen. Meine Begeisterung lässt mein Herz schneller schlagen. Aber ich fühle mich noch immer, als wäre ich der dämlichste Mensch auf Gottes Erden. Dass man mit fremden Männern nicht mitfahren soll, weiß man eigentlich seit dem Kindergarten. Aber das Gespräch mit ihm ist eine unerklärlich schöne Abwechslung. Endlich mal jemand, der ganz normal ist. Mal keine erzwungene Unterhaltung, keine Anhänglichkeiten. Mal nicht das Gefühl ein dummes, kleines Mädchen zu sein. Jemand, der mich bewundert. Und – ich meine, es ist Rom… Er fragt mich viel über mein Leben. Ich antworte ihm gern. Irgendwann schlägt er vor, mich nach Hause zu fahren. Als ich sage, dass ich in Pigneto untergebracht bin, ist er entsetzt. Ich zucke mit den Schultern. Ich hatte das nicht gebucht. Die Studienstiftung ist schuld. Ich frage mich, wieso ich es gesagt habe. Fremden Männern sagen, wo man lebt… Ich muss auf den Kopf gefallen sein. Wir fahren durch die Gassen von Rom und ich vergesse meinen Unmut über mich selbst bei dem traumhaften Anblick sofort wieder. Plötzlich spüre ich, wie er mich von der Seite fokussiert. Er fragt nach meiner Rose. Ich gestehe ihm kleinlaut, warum ich sie gekauft habe – weil mir der Straßenverkäufer so leid tat und ich nicht „nein“ sagen konnte. Still denke ich: So, wie ich zu dir nicht „nein“ sagen konnte. Er lacht herzlich auf. „Ich weiß…“, sage ich lange gezogen, „ich bin so dumm!“ Wir stehen an einer roten Ampel und er blickt mir ernst in die Augen. „Nein. Du bist nicht dumm. Du bist nur ein guter Mensch!” Ich schlucke, weil die Wörter so viel Gewalt haben. „Ein guter Mensch in einer schlechten Welt zu sein, ist hart”, gebe ich mit zitternder Stimme zurück. Die Unterhaltung hat mit einem Mal so viel Tiefe bekommen. „Ja, es ist hart. Aber es ist trotzdem richtig!” Wir fahren weiter und ich bin froh, dass er mein Gesicht nicht sieht. Die Heftigkeit seiner Worte haut mich um. Ich habe noch nie etwas so Schönes gehört, denke ich in diesem Moment. Noch nie etwas so Tröstendes. Noch nie etwas, von dem ich mich so angenommen gefühlt habe. Ich fühle mich sehr, sehr richtig. Jedenfalls in diesem Augenblick. Und ich weiß, dass ich oft daran denken werde: Es ist trotzdem richtig.
© Hannah Trapp 2023-01-12